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Spiel ohne Regeln (German Edition)

Spiel ohne Regeln (German Edition)

Titel: Spiel ohne Regeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon McKenna
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ab, bis sich das Waschbecken mit stumpfen, welligen Strähnen füllte.
    Sie waren so anders als die seidenweichen Locken, die er Becca abgeschnitten hatte. Er ballte die Faust und rief sich das samtige Gefühl in seiner Handfläche ins Gedächtnis.
    »Ich warte, Nikolai«, sagte Tam.
    Er griff sich die nächste Strähne und attackierte sie mit Inbrunst. »Dann warte weiter«, knurrte er. »Warte, solange du willst!«
    Die Stille, die seinen Worten folgte, machte ihn nervös. Tam war skrupellos, übernatürlich klug, und ihre verborgenen Absichten waren unergründlich. Mit ihr zu tun zu haben, war wie der Kontakt zu einem Außerirdischen. Man musste einfach tief Luft holen, die Würfel rollen lassen und hoffen, dass sie einen nicht umbrachte.
    »Es geht in Wahrheit um dieses Desaster in der Ukraine vor fünf Monaten, richtig?«, mutmaßte sie sanft. »Bei dem Sergei getötet und seine Tochter entführt wurde?«
    Eine Schockwelle durchlief ihn. Er ließ das Messer auf den haarigen Haufen fallen. »Woher zum Teufel weißt du davon? Das unterliegt strengster Geheimhaltung!«
    »Ich habe meine Quellen«, antwortete sie seelenruhig.
    »Connor«, knirschte er. »Dieser dämliche Hund mit seiner großen Klappe.«
    »Du hoffst noch immer, das Mädchen zu finden, hm? Wie alt war sie? Elf, zwölf?«
    Er starrte missmutig auf das schwarze Plastikding, das weiter auf ihn einquasselte, ihn drangsalierte, keine Ruhe gab.
    »Ach, Nikolai!« Tams Ton war weich geworden. Sie klang traurig. »Du gibst dich so hart, aber es ist nur Maskerade. Du weißt, dass sie tot ist, oder etwa nicht?«
    Er konnte weder atmen noch sprechen. Nein , widersprach die Stimme in seinem Kopf. Vielleicht ist sie das nicht .
    »Tot oder schlimmer als tot«, fuhr sie nüchtern fort.
    Sein Innerstes zog sich bei ihren Worten zusammen. »Halt den Mund, Tamara!«, knurrte er.
    »Du kannst die Vorstellung nicht ertragen? Finde dich damit ab, mein Großer! Die Wahrheit wird dich befreien. Die Kleine ist so oder so unrettbar verloren.«
    Nick machte ein undefinierbares Geräusch, bevor er das letzte lange Büschel, das vor seinen Augen hing, mit einem finalen Hieb abtrennte. Seine verbliebenen Haare standen nach allen Seiten ab, als wären sie von Ratten auf Crack abgenagt worden. Er schaltete den Langhaarschneider ein, und das tiefe, durchdringende Surren des Geräts erfüllte seine Ohren.
    »Ich kann dich nicht hören, Tam«, sagte er laut. »Ich schneide mir gerade die Haare.«
    Er ließ sich Zeit, fuhr bedächtig mit dem Gerät über seinen Kopf und seinen Bart. Er hatte die längste Einstellung gewählt, da er nicht wie ein gerupftes Huhn aussehen wollte. In seinen Kurzhaarzeiten hatte er das alle paar Wochen gemacht, aber es gestaltete sich schwieriger, wenn die Haare länger waren.
    Sobald er fertig war, begutachtete er mit grimmiger, unzufriedener Miene das Resultat. Er sah nicht wie jemand aus, den man leicht wieder vergaß. Er sah aus wie ein kurzhaariger, abgekämpfter, finster dreinblickender Verbrecher, der eine wohlverdiente Tracht Prügel bezogen hatte. Er stellte den Langhaarschneider aus, und die plötzliche Stille vibrierte seltsam in seinen Ohren.
    »Ich weiß, was du zu tun versuchst, Nikolai«, sagte Tam ruhig.
    Er grunzte. »Das ist super, Tam. Wenigstens einer von uns.«
    »Du versuchst, deine Seele zu retten. Nimm dich in Acht, mein Freund!«
    Das Gerät fiel ihm aus der Hand und federte auf dem dicken Haarpolster auf und ab. Nick taumelte nach vorn und musste sich am Waschbecken festhalten. Sein Innerstes war leer. Kein Boden unter ihm. Nur der endlose, grauenvolle Abgrund.
    »Es ist gefährlich, deine Seele an einen hoffnungslosen Fall zu ketten«, flüsterte Tamara ins Telefon. »Das Mädchen gibt es nicht mehr. Zhoglo hat es gefressen. Stell dich den Tatsachen, und werde damit fertig! Häng deine Seele an etwas anderes! Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
    Er bekämpfte den plötzlichen Drang, sich zu übergeben, und atmete mehrmals scharf und hörbar ein, während heißer Zorn in ihm aufwallte.
    »Ich verstehe, warum du so empfindest«, sagte er. »Niemand hat dich gerettet, stimmt’s? Sie haben dich deinem Elend überlassen, nicht? Warst auch du rettungslos verloren, Tam?«
    Er fischte im Trüben, ein Schuss ins Dunkle. Er wusste nicht das Geringste über Tamaras rätselhafte Vergangenheit. Niemand wusste etwas darüber. Doch er erkannte an der plötzlich veränderten Qualität ihres Schweigens, dass er mitten ins Schwarze

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