Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
Ansichten. Seine Kinder brauchten ihn nicht wirklich, und ganz sicher wollten oder brauchten sie seine Liebe nicht. Das hatten sie ihm oft genug deutlich gezeigt.
Aber was, wenn sie es doch brauchten? Wenn unter der Gleichgültigkeit und dem Spott, der offenen Verachtung und dem Missmut auch bei ihnen eine Sehnsucht nach Anerkennung und Aufmerksamkeit durch ihren Vater lag? Wünschten sie sich, dass er sie so annahm, wie sie wirklich waren? War es ihm mit seinem Vater nicht genauso ergangen?
Sein Blick verschwamm. Er hob die Hand, um die Erschöpfung fortzuwischen, die seine Sicht beeinträchtigte, und fast ungläubig stellte er fest, dass ihm Tränen in den Augen standen.
Tränen um seine Kinder oder um sich selbst?
Ich brauche Zeit, um alles gründlich zu durchdenken, sagte er sich. Es war unvernünftig, wenn er zuließ, dass er sich von seinen Gefühlen zu irgendwelchen unüberlegten Dingen hinreißen ließ. Das war unmöglich. Bevor er sich seinen persönlichen Angelegenheiten widmete, musste er sich um den Ankauf von Carey’s kümmern. Hoffentlich übte die Bank, wenn nötig, Druck auf Davina James aus. Dann konnte es nicht lange dauern.
Davina James.
Wo mochte sie jetzt sein? Bei ihrem Geliebten? Offenbar auch ein verheirateter Mann. Seltsam, Saul hätte sie nicht für diese Art Frau gehalten. Aber was für ein Typ Frau war sie denn? Musstesie überhaupt in irgendeine Schublade passen? Soweit Saul die Beziehungen zwischen Mann und Frau kennengelernt hatte, gab es nur zwei wichtige Gründe für das Scheitern dieser Beziehungen, und beide hatten mit Kontrolle und Macht zu tun. In den meisten Beziehungen hatte diese Kontrolle zwei Grundlagen: Die eine war Geld, und die andere war Sex. In der Vergangenheit war es normalerweise der Mann, der das Geld kontrollierte, und die Frau bestimmte den Sex. Wie in jedem Bereich der Menschheit stellte sich auch hier eine Art Tauschhandel ein, bei dem der eine Partner seine Macht ausnutzte, um vom anderen etwas zu bekommen.
Dann dauerte es nicht mehr lange, bis einer oder beide Partner entdeckten, dass das, was man nicht freiwillig und in vollen Zügen bekommt, nicht mehr so erstrebenswert ist. Oder so mit Verachtung beladen, dass es eher der Bestrafung diente als als Belohnung.
Saul konnte sich noch erinnern, wie angewidert er gewesen war, als ein amerikanischer Kunde ihm eine Ansicht erzählt hatte, die, wie Saul später entdeckte, von vielen Männern geteilt wurde. „Sicher haben wir ein gutes Sexleben. Jedes Mal, wenn sie mit mir schläft, bekommt sie hundert Dollar. Dadurch bekommen wir beide, was wir wollen, und wenn sie sich neue Kleider kauft, dann weiß ich, dass sie dafür genauso hart arbeiten musste wie ich.“
Zugegeben, zu so einer Beziehung gehörten immer zwei, aber ihm war klar, wie nah Karen und er an diese Falle herangekommen waren.
War Davina James deshalb mit ihrem Mann verheiratet geblieben? Wegen des Geldes? Er fuhr sich über das Gesicht. Was tat er eigentlich? Immer wieder zerrte er sie in seine Überlegungen hinein. Und außerdem, stellte er verwirrt fest, war es Davina James gewesen, der das Geld gehörte. Dafür hatte ihr Vater gesorgt. Ihren Mann musste das maßlos geärgert haben. Er führte das Geschäft, aber sie besaß die eigentliche Kontrolle.
Kontrolle – auf dieses eine Wort lief alles hinaus. Es war die Quelle der Macht.
Lucy begutachtete ihr perfektes Make-up sorgfältig im Spiegel und suchte nach verräterischen Tränenspuren. Die Unterlider ihrer Augen waren noch leicht geschwollen und gerötet, aber Giles würde es nicht bemerken.
Gib es doch zu, sagte sie sich innerlich, Giles würde nicht merken, wenn er nach Hause käme und du nackt und eng umschlungen mit einem anderen Mann auf dem Wohnzimmerteppich liegen würdest. Jedenfalls würde es ihm nichts ausmachen.
Sie schloss die Augen fest zu, um nicht wieder zu weinen und ihr Make-up dadurch wieder zu ruinieren. Sie weinte nicht aus Trauer, sondern aus Wut. Vergangene Nacht war Giles spät nach Hause gekommen. Wieder einmal. Obendrein betrunken. Vielleicht nicht sturzbesoffen, aber er hatte getrunken, und sie vermutete, dass er es nicht allein getan hatte. Natürlich hatte er es geleugnet, als sie ihn beschuldigt hatte, bei Davina gewesen zu sein.
Sie war bei seiner Heimkehr im Wohnzimmer gewesen und hatte so getan, als sei sie in eine Zeitschrift vertieft. Er hatte einen Moment in der Tür gezögert, als sei er überrascht, Lucy dort zu sehen. Wäre es ihm lieber
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