Spiel ums Glueck
rief Richard, ungehalten über die Störung.
Er erhob sich indes erschrocken, als er Cassia in der Tür erblickte. Ihr Antlitz war bleich wie ein Leinentuch. „Was ist geschehen, Miss Penny? Ist dieser Mann von gestern etwa ..."
„Es geht um etwas völlig anderes“, unterbrach sie ihn hastig. „Verzeihen Sie, Gentlemen, ich muss Ihnen Mr Blackley für einen Augenblick entführen.“
Die Männer verneigten sich und sahen Cassia interessiert nach.
„Was ist geschehen, Cassia?“, wiederholte Richard besorgt, als sie im Korridor standen. Er ergriff ihren Arm, um sie zu stützen.
Cassia faltete die Hände und atmete tief durch. „Entsinnst du dich an eine Frau namens Marie-Claire? Es muss Jahre her sein, während deiner Zeit auf Barbados.“
„Marie-Claire?“ Der Name rief keine Erinnerungen in ihm wach. „Es gab viele Mädchen auf Barbados, Cassia, und viele mit französischen Namen, und da es so lang zurückliegt ..."
„Zehn Jahre, um genau zu sein“, sagte sie, wobei sie noch einen Hauch blasser wurde. „Das ist keine so lange Zeit, als dass man sich nicht erinnern könnte.“
Er führte sie zu einem der Stühle, die an den Wänden standen, aus Angst, sie würde jeden Moment ohnmächtig. „Du sprichst in Rätseln, Mädchen. Weshalb fragst du mich nach jemand, den ich vor zehn Jahren gekannt haben soll?“ „Denk nach, Richard“, beharrte sie. „Marie-Claire. Sie muss sehr jung gewesen sein - und wunderschön und ... “ „Marie-Claire Lenotre!“ Richard lächelte erfreut, sich doch noch erinnert zu haben. „Sie war ein hübsches kleines Ding. Eine Kreolin aus Martinique mit riesigen Ohrringen. Sie arbeitete auf der Plantage, auf der ich damals einer der Aufseher war.“
„Hat sie dir unterstanden?“
„Nicht direkt, nein“, erwiderte er zögernd und fragte sich, wozu er diese alte Geschichte wieder aufrollen sollte. Er kannte Cassia jedoch inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie nur dann so beharrlich war, wenn sie einen guten Grund hatte. „Aber Marie-Claires Blutsverwandte waren Sklaven. Daher hätte sie mir nach gültigem Inselrecht gegebenenfalls Gehorsam leisten müssen. “
„Sie hätte dir Gehorsam leisten müssen?“ Cassia legte die Hände auf ihre Wangen. „Oh, Richard, wie wenig ich über dich weiß!“
„Cassia, bitte, sag mir, was ...“
„Ich kann dir nichts sagen, weil ich mir nicht wirklich sicher bin“, unterbrach sie ihn und erhob sich, um ihn bei der Hand zu nehmen. „Komm mit mir in die Küche, dann kannst du dir selbst ein Bild machen.“
Er warf einen Blick in Richtung seines Arbeitszimmers. „Kann ich mich nicht später darum kümmern, Mädchen?
Ich bin mitten in einer ... “
„Diese Angelegenheit wartet seit zehn Jahren darauf, dass du dich um sie kümmerst, Richard“, betonte Cassia und zog ihn in Richtung Treppenhaus. „Nun duldet sie keinen Aufschub mehr. “
Er folgte ihr, während er im Geiste sämtliche vorstellbaren Katastrophen durchging, die passiert sein konnten. „Sie ist doch nicht etwa hier, oder? Marie-Claire Lenotre? Sie hat doch nicht etwa einen Weg gefunden ... “
„Marie-Claire ist tot“, erklärte Cassia und bog in den Flur ein, von dem die Wirtschaftsräume abzweigten. „Sie kann dir keine Schwierigkeiten mehr bereiten.“
„Um was zum Teufel geht es dann, Cassia?“
Das Küchenpersonal hatte sich in den vergangenen Wochen mehr als verdoppelt, denn es galt, all die vielen Arbeiter und Handwerker satt zu bekommen, die auf dem Anwesen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Zu dieser Uhrzeit waren die Bediensteten gemeinhin eifrig dabei, das Mittagessen vorzubereiten, und jedermann eilte geschäftig hin und her, sodass es zuging wie in einem Bienenkorb. Doch kaum dass Richard die Küche betreten hatte, kam die Arbeit prompt zum Erliegen. Die Küchenmädchen wichen zur Seite und bildeten eine Gasse, um ihn passieren zu lassen.
„Marie-Claire konnte nicht kommen, aber ihr Sohn ist hier“, verkündete Cassia knapp, als sie den Raum durchquert hatten, und wies auf einen Knaben, der an einem der großen Arbeitstische saß.
„Ihr Sohn?“ Für den Bruchteil eines Moments erschien das Bild eines Kindes mit den hübschen Zügen Marie-Claires vor Richards innerem Auge. „Hier?“
„Jawohl, Sir.“ Luke schnellte von seinem Stuhl hoch und presste die Arme an die Seiten.
Der Knabe trug kaum mehr als schmutzige Stofffetzen am Leibe, und seine Schuhe waren mit Seilresten zugeschnürt. Trotzdem wusste er sich elegant zu
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