Spiel unter Freunden
Nach elf
Stunden am Monitor brannten ihm die Augen, aber dagegen hatte Gott
ja Visine-Tropfen geschaffen.
Er griff in die
orangefarbene Kürbislaterne aus Plastik, die ihn von der Ecke
seines Tisches her angrinste, und fischte einen Mini-Snickers
heraus. «Na, komm schon, komm …» Er fuhr sich
mit der Hand durch das schwarze Haar. Er wartete darauf, dass sein
Computer endlich mit ihm redete. Und das tat er schließlich
auch indem er einen schrillen Warnton von sich
gab.
«Mist»,
reagierte Espinoza, und schon tanzten seine Finger wieder über
die Tastatur.
«Hast du was
für mich, Tommy?» Magozzi stand in der Tür, eine
leicht lädierte Ledertasche über der Schulter.
Tommy ließ den
Monitor nicht aus den Augen, sondern winkte Magozzi nur heran.
«Sieh dir das hier mal an, Leo. Ich bin da bei diesen
Monkeewrench-Typen auf was echt Abgefahrenes
gestoßen.»
Als Freedman und
McLaren schließlich in die Kabine von Kapitän Magnusson
stürzten, hatte der alte Mann bereits die Schiebetür zu
seinem Privatklo beiseite geschoben und taumelte wieder
rückwärts. Der Lehnstuhl erwischte ihn in den Kniekehlen,
und Magnusson plumpste rücklings auf das Möbel. Er hatte
die Augen weit aufgerissen und atmete in kurzen Stößen.
McLaren kümmerte sich um ihn, während Freedman einen
ersten Blick in die Toilette warf.
Kleiner wäre es
nicht möglich gewesen, und alles war aufs Minimalmaß
reduziert, wie es nun mal auf allen Schiffen ist.
Ein winziges
Handwaschbecken aus rostfreiem Stahl, ein Miniaturspiegel, eine
Duschkabine, in die sich Freedman kaum hätte quetschen
können. Nur der Toilettensitz war normal groß, ebenso
wie der Mann, der darauf saß. Er trug einen Anzug, war aber
von der Taille abwärts nackt. Die Hosen häuften sich
zerknüllt um seine Füße, die feisten weißen
Knie waren weit gespreizt, die Hemdzipfel baumelten zwischen
schlaffen Oberschenkeln. Sein Kopf lehnte an der
rückwärtigen Wand, als ruhe sich der Mann nur aus. Aber
diesmal hatte der Täter keine saubere Arbeit geleistet. Vom
Einschussloch auf der Stirn des Mannes hatten Rinnsale von Blut
ihren Weg links und rechts der Nase bis in die Mundwinkel gefunden,
wo sie die Fältchen füllten, bevor sie den Hals
hinuntergesickert waren und den Kragen seines weißen Hemdes
rot gefärbt hatten.
Freedman hatte
genügend Opfer von Schussverletzungen gesehen, um zu wissen,
dass dieser Mann nicht sofort gestorben war. Ihm mussten einige
Herzschläge geblieben sein, um noch all das Blut aus dem
relativ kleinen Loch in der Stirn zu pumpen.
Er trat zur Seite,
damit McLaren einen Blick durch die schmale Türöffnung
werfen konnte.
«Heilige
Scheiße!», stieß McLaren geschockt aus.
«das glaub ich nicht. Kapitän? Wann waren Sie zum
letzten Mal auf dem Klo?«
Kapitän Magnusson
sah von seinem Stuhl auf. Er blinzelte hektisch. «Du liebe
Zeit. Ähm, gestern, glaub ich. Nein, Moment. Gestern sind wir
doch gar nicht gefahren. Also wohl vorgestern.» Freedman und
McLaren wandten sich wieder dem Toten zu. «Das Blut ist
getrocknet», kommentierte Freedman. «Ist also nicht
während unserer Wache passiert.»
«Was bedeutet,
dass er sich hier drinnen befunden haben muss, als wir vorhin die
Kabine überprüft haben.» Freedmans großer
Kopf bewegte sich bedeutungsvoll auf und nieder. «Noch
schlimmer.» Magozzi und Espinoza saßen total
entgeistert vor dem Monitor.
«Einfach
unglaublich», sagte Tommy. «Ich hab in meinem ganzen
Leben noch keine Firewalls wie diese gesehen.»
«Und du kannst
nichts über die rauskriegen, die dahinter
stecken?»
«Was die letzten
zehn Jahre betrifft, kann ich dir alles verschaffen, was du willst.
Steuerrückzahlungen, Arztberichte,
Vermögenserklärungen, Mann, ich könnte dir fast
sagen, wann die aufs Scheißhaus gegangen sind. Aber davor
nada.» Tommy warf sich auf seinem Stuhl zurück.
«Keine Aufzeichnungen über Jobs, keine über
Schulbesuche oder Studium, ja nicht einmal Geburtsurkunden.
Praktisch hat bis vor zehn Jahren keiner dieser Leute
existiert.»
«Das ist doch
unmöglich.»
«Anscheinend
nicht. Auf Anhieb würde ich mal die Vermutung wagen, dass die
Leute sich einfach gelöscht haben.»
«Das kann man
machen?» Tommy zuckte mit den Achseln, schnappte sich einen
Kartoffelchip aus der offenen Tüte auf seinem Arbeitstisch,
stopfte ihn in den Mund und redete trotzdem weiter.
«Theoretisch auf
jeden Fall. Fast alles ist inzwischen computerisiert. Und wenn es
in einem Computer gespeichert ist,
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