Spielen: Roman (German Edition)
ja, weil es so war. Und was die Angeberei betraf, war es so, dass alle angaben, die ganze Zeit. Dag Lothar, zum Beispiel, der bei allen so beliebt war, begann er nicht jeden zweiten Satz mit den Worten »Ich will ja nicht angeben, aber …«, um anschließend von irgendetwas Tollem zu erzählen, was er getan hatte, oder von irgendetwas Tollem, was jemand zu ihm gesagt hatte?
Doch, das tat er. Also ging es nicht darum, was ich machte, sondern darum, wer ich war. Warum sollte Rolf sonst anfangen, mich »Profi« zu nennen, wenn wir auf der Straße Fußball spielten? Ich hatte doch gar nichts Besonderes getan. Du denkst, du wärst so ein verdammt guter Fußballspieler, stimmt’s, »Profi«? Dabei hatte ich lediglich gesagt, wie man spielen sollte, und hätte ich das etwa nicht tun sollen, obwohl ich doch im Fußballverein war und es wusste ? Wir sollten nicht alle in einer Traube herumlaufen, wir mussten uns verteilen und den Ball zwischen uns hin und her passen oder dribbeln und nicht ständig diesen Mist zusammenspielen.
Aber ich behielt auch in diesem Frühjahr das letzte Wort, denn als die Stunden zur Vorbereitung der Sommerabschlussfeier umgelegt wurden und unsere Lehrerin die Hefte mit dem Theaterstück austeilte, das wir am wichtigsten Tag des Schuljahrs, also dem letzten, vor allen Eltern aufführen sollten, wer bekam dann die Hauptrolle?
Nicht Leif Tore, nicht Geir Håkon, nicht Trond und auch nicht Geir.
Sondern ich.
Ich, ich, ich.
Keiner von ihnen wäre in der Lage gewesen, so viel Text auswendig zu lernen, von den Jungen konnten das nur Eivind und ich und eventuell noch Sverre, und dass sich die Lehrerin schließlich für mich entschied, war kein Zufall.
Als sie es sagte, freute ich mich so, dass ich nicht wusste, wohin mit mir.
In der letzten Woche probten wir jeden Tag, täglich stand ich in meiner Klasse im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, auch Anne Lisbets, und als der letzte Schultag bei strahlendem Sonnenschein anbrach, kamen sogar noch alle Eltern dazu. Sie waren festlich gekleidet und saßen auf Stühlen an der Wand, knipsten mit ihren Fotoapparaten und waren ganz still, als wir aufgeregt unsere Textzeilen sprachen, und klatschten begeistert, als es vorbei war.
Dann spielten wir Blockflöte und sangen, dann bekamen wir unsere Zeugnisse, dann wünschte uns die Lehrerin einen schönen Sommer, und dann liefen wir auf den Schulhof und zu den Autos, die auf uns warteten.
Mit dem Zeugnisheft in der Hand stand ich ungeduldig mit Geir zusammen und wartete vor dem Käfer auf meine Mutter. Sie kam zusammen mit Martha, die beiden unterhielten sich und lachten und sahen Geir und mich erst, als sie nur noch ein paar Meter von uns entfernt waren.
Mutter trug eine beige Hose und einen rostroten Pullover mit Ärmeln, die am Unterarm ein wenig hochgeschlagen waren. Ihre langen Haare fielen weit auf den Rücken hinab. Ihre Füße steckten in hellbraunen Sandalen. Sie war gerade dreißig geworden, und Martha, die ein Kleid in einem Braunton angezogen hatte, war zwei Jahre älter als sie.
Sie waren junge Frauen, aber das wussten wir nicht.
Mutter stand lange vor dem Wagen und suchte in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel.
»Das habt ihr toll gemacht«, sagte Martha.
»Danke«, erwiderte ich.
Geir sagte nichts, blinzelte nur in die Sonne.
»Da ist er ja«, sagte Mutter. Sie schloss auf, und wir setzten uns hinein, die Erwachsenen vorne, wir Kinder auf die Rückbank. Beide Mütter zündeten sich eine Zigarette an. Anschließend fuhren wir im Sonnenschein nach Hause.
An jenem Abend stand ich im Türrahmen und beobachtete meine Mutter, die sich im Elternschlafzimmer die Haare föhnte. Ab und zu, wenn Vater nicht zu Hause war, folgte ich ihr durchs Haus und redete ihr ein Loch in den Bauch. Jetzt war ich still, das heulende Geräusch unterband jede Unterhaltung, stattdessen beobachtete ich, wie sie den Kopf schieflegte und mit einer Bürste in der einen Hand die Haare zum Föhn hob, den sie in der anderen hielt. Ab und zu warf sie mir einen Blick zu und lächelte. Ich betrat das Zimmer. Auf dem kleinen Tisch an der Wand lag ein Brief. Ich hatte nicht vor herumzuschnüffeln, sah aber selbst von Weitem, dass der erste Name darauf Sissel war, also Mutters Vorname, aber gleichzeitig war der Name länger als Mutters Name, denn zwischen Sissel und Knausgård, die ich eher wiedererkannte als las, stand ein dritter Name. Ich trat näher. »Sissel Norunn Knausgård«, stand dort.
Norunn?
Wer war das?
»Mama!«,
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