Spielen: Roman (German Edition)
sagte ich.
Sie senkte den Föhn, als würde meine Stimme dadurch deutlicher, und sah mich an.
»Mama«, setzte ich noch einmal an, »was steht denn da auf dem Umschlag? Was ist das für ein Name?«
Sie schaltete den Föhn aus.
»Was hast du gesagt?«
»Was ist das für ein Name!«
Ich nickte zu dem Umschlag hin. Sie lehnte sich vor und nahm ihn in die Hand.
»Das ist mein Name, wieso?«
»Aber da steht Norunn! Du heißt doch nicht Norunn!«
»Doch. Das ist mein zweiter Vorname. Sissel Norunn.«
»Ist das immer schon dein Name gewesen?«
Verzweiflung schnürte mir die Brust zu.
»Aber ja. Mein ganzes Leben ist das mein Name gewesen. Wusstest du das nicht?«
»Nein. Warum hast du mir das nicht gesagt?«
Tränen liefen mir über die Wangen.
»Aber mein kleiner Schatz«, sagte Mutter, »weil ich gedacht habe, dass es keine Rolle spielen würde. Sissel ist mein Rufname. Norunn ist nur der zweite Vorname.«
Ich war tief erschüttert. Nicht von dem Namen an sich, sondern davon, dass ich ihn nicht gekannt hatte und meine Mutter einen Namen besaß, den ich nicht kannte.
Gab es noch mehr Dinge, die ich nicht wusste?
Einen Monat später, ungefähr in der Mitte der Sommerferien, fuhren wir gen Norden, nach Sørbøvåg am Åfjord im Distrikt Ytre Sogn, wo Großmutter und Großvater, die Eltern meiner Mutter, wohnten, und blieben dort zwei Wochen. Darauf hatte ich mich schon so lange gefreut, dass der Morgen, an dem wir fahren wollten und an dem ich frühmorgens geweckt wurde, in einen unwirklichen Schimmer getaucht war. Der Kofferraum war zum Bersten voll, Mutter und Vater saßen vorne, Yngve und ich hinten, wir würden den ganzen Tag und Abend unterwegs sein, und selbst das Vertrauteste des Vertrauten, die Straße bis zur Kreuzung hinunter und zur Brücke hinauf, wirkte auf einmal ganz anders. Jetzt gehörte sie nicht zum Haus und unserem Leben darin, sondern zu der großen Reise, zu der wir aufgebrochen waren, so dass diese jedem Fels und Stein, jeder Insel und Schäre etwas von ihrer Spannung und ihren Erwartungen verlieh.
Als wir zur Kreuzung an der Brücke kamen, faltete ich dennoch wie üblich die Hände und sprach stumm das kurze Gebet, das bis dahin immer in Erfüllung gegangen war:
Lieber Gott,
mach bitte, dass wir keinen Unfall haben.
Amen.
Wir fuhren ins Landesinnere, durch die schier endlosen und monotonen Nadelwälder, an Evje mit seinen langen, flachen Militärbaracken und großen Kiefernwäldern vorbei, am Byglandsfjord und dem Campingplatz vorbei, ins Setesdal mit seinen alten Fluren und Höfen und den vielen Schildern, die auf Silberschmieden hinwiesen, auf einer Straße, die an manchen Stellen fast über den Hof der Anwohner zu führen schien. Nach und nach verschwand die Bebauung, und es kam mir vor, als ließen uns die Häuser los und fielen eins nach dem anderen zurück, ungefähr so, wie die Kinder eins nach dem anderen von jenem riesigen Reifenschlauch heruntergefallen waren, den jemand früher im Sommer mit einem Seil an einem Boot befestigt hatte, als das Tempo immer höher wurde, bis am Ende nur noch der Schlauch übrig war. Ich sah glitzernde Sandbänke an den Flussufern, grüne Hänge, die immer steiler aufstiegen, einzelne kahle und gewaltige Felswände in allen Schattierungen von Grau mit ein paar rotgefleckten Kiefern auf den Kuppen. Ich sah Stromschnellen und Wasserfälle, Seen und Sümpfe, alles in das Licht der klaren, kräftigen Sonne getaucht, die während unserer Fahrt immer höher stieg. Die Straße war schmal und folgte sanft und unmerklich jeder Senke und jeder Erhebung, jedem Einschnitt und jeder Kurve der Landschaft. An manchen Stellen bildeten die Bäume zu beiden Seiten eine Wand, an anderen verlief sie plötzlich über allem und erreichte jäh und unerwartet Aussichtspunkte.
In unregelmäßigen Abständen tauchten am Straßenrand Rastplätze auf, kleine Kiesplätze, auf denen manchmal Fa milien saßen und an grob gezimmerten Holztischen aßen, wo bei ihre Autos direkt neben ihnen standen, häufig mit geöffneten Türen oder offenem Kofferraum, im Schatten von Bäumen, meistens in der Nähe eines Sees oder eines Flusses. Bei allen stand eine Thermoskanne auf dem Tisch, bei vielen eine Kühltasche, bei manchen zusätzlich ein Campingkocher. »Machen wir bald Pause?«, fragte ich gelegentlich, wenn ich einen solchen Rastplatz gesehen hatte, denn die Pause gehörte neben den Fährfahrten zu den Höhepunkten der Reise. Auch wir hatten eine Kühltasche im Kofferraum,
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