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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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bedeutete, dass Mutter fort war.
    Die Zimmer waren tot.
    Vater saß in seinem Arbeitszimmer, und das Wohnzimmer und die Küche lagen da draußen vollkommen tot. Ich schlich mich hin, und das Gefühl, das mich manchmal beschlich, wenn ich alleine im Wald war, wenn der Wald sich selbst genug war und mir keinen Einlass gewähren wollte, stellte sich jetzt in unserem Haus ein.
    Die Zimmer waren bloß Zimmer, etwas Gähnendes, in das ich mich hineinbewegte.
    Mein eigenes glücklicherweise jedoch nicht. Sanft und freundlich gesonnen umhüllte es mich wie immer.
    Am nächsten Tag kamen Sverre und Geir Håkon vor dem B-Max zu mir. Mehrere andere aus meiner Klasse standen um uns herum.
    »Für wen hast du gestern gestimmt, Karl Ove?«, fragte Geir Håkon.
    »Das ist geheim«, antwortete ich.
    »Du hast dich selbst gewählt. Du hast nur eine Stimme bekommen, und die hast du dir selbst gegeben.«
    »Nein«, widersprach ich.
    »Doch«, sagte Sverre. »Wir haben alle in der Klasse gefragt. Keiner hat dich gewählt. Dann bleibst nur noch du selbst übrig. Du hast dich selbst gewählt.«
    »Nein«, sagte ich. »Das ist nicht wahr. Ich habe mich nicht selbst gewählt.«
    »Wer war es denn dann?«
    »Das weiß ich doch nicht.«
    »Aber wir haben alle gefragt. Keiner hat dich gewählt. Du hast dich selbst gewählt. Gib’s zu.«
    »Nein«, entgegnete ich. »Das stimmt nicht.«
    »Aber wir haben alle gefragt. Du bist als Einziger übrig.«
    »Dann lügt eben jemand.«
    »Und warum sollte jemand lügen?«
    »Das weiß ich doch nicht.«
    »Du bist hier der Lügner. Du hast dich selbst gewählt.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    Das Gerücht machte in der Schule die Runde, aber ich stritt alles ab. Leugnete hartnäckig. Alle wussten, was passiert war, aber solange ich es nicht zugab, konnten sie sich nicht hundertprozentig sicher sein. Sie meinten, das sei typisch für mich. Ich dächte, ich sei etwas Besonderes. Aber das sei ich nicht. Jemand, der sich selbst wähle, sei ein Niemand. Dass ich nie mit ihnen Äpfel klauen ging, nie etwas im Geschäft mitgehen ließ, nie mit der Steinschleuder auf Vögel schoss oder mit dem Blasrohr Kirschkerne auf Autos oder Passanten abfeuerte, dass ich niemals mitmachte, wenn die anderen die Sportlehrerin hinter dem Tor im Geräteraum einschlossen oder wenn die anderen Reißzwecke auf den Stuhl der Aushilfslehrer legten oder ihren Schwamm mit Wasser durchtränkten, sondern sie im Gegenteil ermahnte, das alles nicht zu tun, weil es falsch sei, war auch nicht unbedingt dazu angetan, meinen Ruf zu verbessern. Manchmal bat ich Gott, ihnen zu vergeben. Zum Beispiel, wenn sie fluchten. Dann tauchte plötzlich ein Gebet in mir auf. Lieber Gott, vergib Leif Tore, dass er geflucht hat. Er hat es nicht so gemeint. Ich selbst sagte Scheibenkleister, Schande, ojemine, du meine Güte, du lieber Gott, Mist, Pisse, Kacke, Halleluja, ach Göttchen, hoppla, zum Mäusemelken. Aber obwohl es so war, dass ich nicht schlimm fluchte, abgesehen von Notlügen nie die Unwahrheit sagte, nicht klaute oder Dinge demolierte oder Lehrer quälte, dass ich mich sehr für Kleider und Aussehen interessierte und immer recht haben und der Beste sein wollte, so dass ich generell einen schlechten Ruf hatte und niemand war, von dem sie gesagt hätten, dass sie ihn nett fänden, war es andererseits auch nicht so, dass ich geschnitten wurde, und wenn manche es doch taten, zum Beispiel Leif Tore und Geir Håkon, gab es immer andere, zu denen ich gehen konnte. Dag Lothar, zum Beispiel. Dag Magne. Und wenn die Kinder sich in großen Cliquen sammelten, wurde ohnehin niemand ausgeschlossen, die Gruppen standen allen offen, auch mir.
    Trotzdem war es natürlich einfacher, zu Hause zu bleiben und zu lesen.
    Es war meinem Ruf sicher auch nicht zuträglich, dass ich gläubig war. Daran war im Grunde Mutter schuld. Ein Jahr zuvor hatte sie eines Tages ein Comicverbot ausgesprochen. Ich war früh aus der Schule gekommen und fröhlich und zufrieden die Treppe hochgelaufen, weil Vater noch auf der Arbeit war.
    »Hast du Hunger?«, fragte sie mich. Sie saß im Wohnzimmer mit einem Buch auf dem Schoß im Sessel und sah mich an.
    »Ja«, antwortete ich.
    Sie stand auf, ging in die Küche, holte Brot heraus. Draußen regnete es Bindfäden. Ein paar Nachzügler vom Bus gingen auf der Straße mit gesenkten Köpfen in den Kapuzen ihrer Regenjacken vorbei.
    »Ich habe mir heute ein paar von deinen Comics angesehen«, sagte Mutter und schnitt eine Scheibe Brot ab. »Was

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