Spielen: Roman (German Edition)
ihn herausrissen. Anschließend trugen wir ihn die ganze Strecke über das Feld bis zum Bootshaus hinunter und lehnten ihn schräg an die Wand. Leif Tore, bekannt als der Mutigste von uns, versuchte es als Erster. Auf dem Schemel stehend schaffte er es, den Ellbogen aufs Dach zu legen. Mit der anderen Hand umfasste er die Dachkante und warf anschließend ein Bein hoch. Es fand Halt auf dem Rand, wo es für einen kurzen Moment auf dem Dach lag, aber als das Körpergewicht stärker nach unten zog, verlor seine Hand den Halt, und er fiel wie ein Sack und ohne eine Chance dagegenzuhalten herunter. Er landete mit der Seite auf dem schräg stehenden Schemel und rutschte auf die Erde.
»Oh!«, sagte er. »Au, verdammt! Oohhh! Au!Au!Au!«
Langsam rappelte er sich wieder auf, musterte seine Hände, rieb sich eine Pobacke.
»Oh, das hat wehgetan! Jetzt muss es ein anderer versuchen!«
Er sah mich an.
»Ich habe nicht genug Kraft in den Armen«, erklärte ich.
»Ich kann es ja mal versuchen«, meinte Geir.
Leif Tore war bekannt für seinen Mut, Geir dagegen eher für seine Unbesonnenheit. So war er nicht von sich aus, denn wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den ganzen Tag nur zu Hause gesessen und gezeichnet und gefurzt, sondern immer nur dann, wenn er dazu ermuntert wurde. Er war darüber hinaus ziemlich leicht hereinzulegen. In jenem Sommer hatten er und ich mit Hilfe seines Vaters eine Seifenkiste gebaut, und als sie fertig war, brachte ich ihn dazu, mich in ihr durch die Gegend zu schieben, indem ich ihm lediglich sagte, davon werde man groß und stark. Leicht hereinzulegen, aber auch tollkühn, manchmal kannte er keine Grenzen, dann war er zu allem fähig.
Geir entschied sich für eine andere Methode als Leif Tore. Auf dem Schemel stehend umklammerte er den vorragenden Rand des Daches mit beiden Händen und versuchte, ein paar Schritte die Wand hoch zu gehen , wobei sein ganzes Gewicht auf den Fingern lastete, mit denen er sich festklammerte. Aber das war doch idiotisch. Denn selbst wenn ihm das gelungen wäre, hätte er doch nur waagerecht unter dem Dach gestanden, was eine eindeutig schlechtere Position gewesen wäre als seine ursprüngliche.
Seine Finger rutschten ab, und er fiel mit dem Po auf den Schemel und schlug anschließend mit dem Hinterkopf dagegen.
Ihm entfuhr ein leises Grunzen, und als er aufstand, sah ich ihm an, dass er sich tüchtig wehgetan hatte. Verbissen ging er ein paar Schritte auf und ab und grunzte wieder leise. Nghn! Dann stieg er erneut auf den Schemel. Diesmal übernahm er Leif Tores Vorgehensweise. Als er das Bein über den Rand schwang, war es, als durchzuckte ihn eine Reihe elektrischer Stöße, sein Bein schlug gegen die Dachpappe, der Körper wand sich, und im nächsten Moment kniete er oben und blickte auf uns herab.
»Das war kinderleicht!«, sagte er. »Jetzt kommt schon! Ich ziehe euch hoch!«
»Das kannst du nicht. Dazu bist du nicht stark genug«, erwiderte Trond.
»Wir könnten es doch wenigstens einmal probieren«, schlug Geir vor.
»Komm lieber wieder herunter«, sagte Leif Tore. »Ich muss sowieso bald nach Hause.«
»Ich auch«, sagte ich.
Er sah da oben auf dem Dach dennoch nicht enttäuscht aus. Eher verbissen.
»Dann springe ich eben wieder herunter«, meinte er.
»Ist das nicht ein bisschen zu hoch?«, fragte Leif Tore.
»Ach was«, antwortete Geir. »Ich muss mich nur kurz konzentrieren.«
Lange hockte er dort oben, starrte auf den Erdboden und atmete tief ein und aus, als wollte er tauchen. Für einen Moment verschwand sämtliche Spannung aus seinem Körper, er schien es sich anders überlegt zu haben, aber dann spannte er die Muskeln wieder an und sprang. Er fiel, rollte herum, schoss wie eine Feder hoch und begann fast schon, noch ehe er wieder richtig stand, Erde von seinem Oberschenkel abzubürsten, um Entspannung zu signalisieren.
Hätte ich es als Einziger geschafft, auf das Dach zu klettern, wäre es ein großer Triumph gewesen. Dann hätte Leif Tore niemals aufgegeben; selbst wenn er den ganzen Abend geklettert und gefallen wäre, hätte er weitergemacht, um das Ungleichgewicht auszugleichen, das sich so plötzlich offenbart hätte. Bei Geir lagen die Dinge jedoch ein wenig anders. Manchmal machte er wirklich ganz einzigartige Dinge, zum Beispiel im Winter fünf Meter tief in eine Schneewehe zu springen, was kein anderer sich traute, ohne dass ihm dabei etwas zustieß. Es zählte nicht richtig. Geir war eben nur Geir, ganz gleich, was
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