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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ein paar Züge zu schwimmen, dann würde es vorbei sein.
    Aber ich konnte das nicht tun. Nie und nimmer würde ich über diese Tiefe hinweggleiten können.
    Tränen liefen meine Wangen herab.
    »Jetzt mach schon, Junge!«, rief Vater. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
    »ICH KANN NICHT!«, rief ich zurück. »HAST DU GEHÖRT?«
    Er erstarrte und sah mich mit plötzlich wutentbrannten Augen an.
    »Wirst du jetzt etwa trotzig?«, sagte er.
    »Nein«, erwiderte ich und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Meine Arme zitterten.
    Er schwamm zu mir, packte mich hart am Arm.
    »Komm her«, sagte er und versuchte mich hinauszuziehen. Ich drehte den Körper zum Land.
    »Ich will nicht!«, sagte ich.
    Er ließ los und atmete tief durch.
    »Dann eben nicht«, sagte er. »Dann hätten wir das geklärt.«
    Daraufhin ging er zu unseren Sachen, hob das Handtuch mit beiden Händen auf und rieb sich das Gesicht trocken. Ich zog die Schwimmweste aus, folgte ihm und blieb einen Meter vor ihm stehen. Er hob den einen Arm und trocknete sich darunter ab, danach den anderen. Beugte sich vor und trocknete die Oberschenkel ab. Er warf das Handtuch von sich und schnappte sich sein Hemd, das er zuknöpfte, während er auf das spiegelglatte Meer hinaussah. Als er das getan hatte, zog er seine Socken an und steckte die Füße in die Schuhe. Es waren braune Lederschuhe ohne Schnürsenkel, die weder zu den Socken noch zu seiner Badehose passten.
    »Worauf wartest du?«, sagte er.
    Ich zog mir das hellblaue Las-Palmas-T-Shirt über den Kopf, das Großmutter und Großvater mir geschenkt hatten, und schnürte die blauen Turnschuhe zu. Vater hob die beiden leeren Limonadeflaschen und die Apfelsinenschalen in die Kühltasche, hängte sie sich über die Schulter und ging, das nasse Handtuch zusammengeknüllt in der anderen Hand, davon. Auf dem Weg zum Auto sagte er kein Wort. Er öffnete den Kofferraum, stellte die Kühltasche hinein, nahm mir die Schwimmweste aus der Hand und legte sie mit seinem Handtuch daneben. Dass ich auch ein Handtuch hatte, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen, und wenn das so war, würde ich ihn ganz sicher nicht damit behelligen.
    Obwohl er im Schatten geparkt hatte, stand das Auto inzwischen in der Sonne. Die schwarzen Sitze waren glühend heiß und brannten an den Oberschenkeln. Ich dachte kurz darüber nach, das nasse Handtuch unterzulegen, aber das wäre ihm mit Sicherheit aufgefallen. Stattdessen legte ich die Handflächen auf den Sitz und setzte mich auf sie und möglichst weit vorne auf den Rand.
    Vater ließ den Wagen an und fuhr im Schritttempo los; die gesamte offene Kiesfläche, die man den Schießplatz nannte, war von großen Steinen übersät. Die Straße, in die er anschließend bog, war noch dazu voller Schlaglöcher, so dass er auf ihr genauso langsam fuhr. Grüne Zweige und Sträucher strichen über Motorhaube und Dach, manchmal auch mit einem leisen Klopfen, wenn der Zweig selbst dagegenschlug. Meine Handflächen brannten weiter, aber nicht mehr so stark. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass auch Vater in seiner kurzen Hose auf einem glühend heißen Sitz saß. Ich warf einen kurzen Blick auf sein Gesicht im Spiegel. Es war mürrisch und verschlossen, aber dass er mit brennenden Schenkeln neben mir saß, war ihm nicht anzusehen.
    Als wir auf die Straße unterhalb der Kirche kamen, gab er ordentlich Gas und fuhr die fünf Kilometer nach Hause viel schneller als erlaubt.
    »Er ist wasserscheu«, sagte er an jenem Nachmittag zu Mutter. Das stimmte zwar nicht, aber ich sagte nichts dazu, so dumm war ich nun auch wieder nicht.
    Eine Woche später kamen Mutters Eltern zu uns. Es war das erste Mal, dass sie uns in Tybakken besuchten. Auf ihrem Hof in Sørbøvåg war nichts Seltsames an ihnen, dort passten sie perfekt hin, Großvater mit seinen Blaumännern und schwarzen Mützen mit kurzem Schirm, hohen, braunen Gummistiefeln und seinem ständigen Tabakspucken, Großmutter mit ihren abgetragenen, aber sauberen, geblümten Kleidern, ihren grauen Haaren und dem breiten Körper und ihren immer leicht zitternden Händen. Als sie in der Einfahrt vor unserem Haus aus dem Auto stiegen, nachdem Vater sie auf dem Flughafen Kjevik abgeholt hatte, sah ich jedoch sofort, dass sie hier nicht hergehörten. Großvater trug seinen grauen Sonntagsanzug, ein hellblaues Hemd und einen grauen Hut, in der Hand hatte er seine Pfeife, aber er hielt sie nicht am Holm wie Vater, sondern hatte die Finger um den

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