Spielen: Roman (German Edition)
der Gewalt seiner Fantasie. Wenn wir etwas spielten, ob nun Entdecker, Seefahrer, Indianer, Rennfahrer, Astronauten, Gangster, Schmuggler, Fürsten, Affen oder geheime Kuriere, blieb er mitunter stundenlang in seiner Rolle, im Gegensatz etwa zu Leif Tore oder Geir Håkon, die schnell die Lust verloren, etwas anderes spielen wollten und kein Interesse an dem Lichtstrahl hatten, mit dem die Einbildungskraft alles be leuchtete, sie waren mehr als zufrieden mit den Dingen an sich, zum Beispiel mit dem alten Autowrack, das in dem Wäldchen aus schlanken Weiden auf einer Lichtung zwischen Spielplatz und Fußballfeld stand und dessen Sitze, Lenkrad, Schaltknüppel, Pedale, Armaturenbrett, Handschuhfach und Türen intakt waren und in dem wir so oft spielten, wobei sie einfach spielten, es sei ein Auto, was es ja auch war, auf die Kupplung traten, am Schaltknüppel zogen, am Lenkrad drehten, die zersplitterten Seitenspiegel einstellten, auf dem Sitz auf und ab hüpften, um Schnelligkeit zu simulieren, während Geir sich zusätzlich von all dem verlocken ließ, was man hinzuerfinden konnte, zum Beispiel, dass wir nach einem Bankraub auf wilder Flucht waren, und die zersplitterten Scheiben, die noch als Scherben auf den schwarzen Gummimatten auf dem Boden verstreut lagen, waren eingeschossen worden; dann fuhr einer von uns, und der andere schlängelte sich durch das Seitenfenster aufs Dach, um auf die Verfolger zu feuern, ein Spiel, das sich weiterführen ließ, bis wir den Wagen in einer Garage abstellten und ausstiegen, um die Beute aufzuteilen, und noch weiter, denn waren die Verfolger uns nicht noch immer auf den Fersen, als wir uns im Licht der tiefstehenden Sonne zwischen den Bäumen nach Hause schlichen?, oder zum Beispiel, dass wir eigentlich in einem Mondfahrzeug säßen und die Landschaft ringsum eigentlich eine Mondlandschaft wäre, in der wir, wenn wir das Auto verließen, uns nicht normal bewegen konnten, sondern hüpfen mussten – oder es ging um einen der vielen Bäche, von denen wir umgeben waren, und Geir war der Einzige, der sich dafür interessierte, seinem Lauf zu folgen, um die Stelle zu finden, an der er entsprang. Am häufigsten suchten wir gemeinsam nach neuen Orten oder gingen zu einer der Stellen, die wir bereits gefunden hatten. Etwa zu einer großen, alten Eiche mit einem Hohlraum im Stamm; zu einer Mulde in einem Bach; zu einem Keller in einem unfertigen Haus, der voller Wasser stand; zum Betonfundament des riesigen Brückenpfeilers oder zu den dicken Metallseilen, die von einer Verankerung im Wald zur Kuppe hinaufführten und deren erste Meter man hinaufklettern konnte, zu einem baufälligen Schuppen zwischen dem Waldsee Tjenna und der Straße auf der anderen Seite, der bis auf Weiteres den äußersten Vorposten unserer Streifzüge markierte, weiter waren wir noch nie gegangen, seine Bretter waren vor Fäulnis dunkel und glatt; zu den beiden Autowracks; zu dem kleinen Waldsee mit den drei Inseln, die nicht größer waren als Grassoden, die eine fast vollständig überwuchert von einem Baum, dessen Wasser so schwarz und tief war, obwohl er direkt neben einer Straßenböschung lag; der weiße, kristallartige Fels neben dem Weg zur Fina, aus dem sich Stücke herausschlagen ließen; zur Bootfabrik auf der anderen Seite der Brücke hinter Gamle Tybakken; den vielen Hallen dort, den Bootrümpfen, den rostigen Flaschenzügen und Maschinen, dem Geruch von Öl und Teer und Salzwasser, der uns so gut gefiel. Kreuz und quer durchstreiften wir fast täglich dieses Gebiet, das sich ein oder zwei Kilometer in alle Richtungen erstreckte, und das Entscheidende an allem, was wir entdeckten oder aufsuchten, bestand darin, dass es geheim war und uns allein gehörte. Mit den anderen Kindern spielten wir Verstecken und Fangen, spielten wir Fußball oder standen auf Skiern; wenn wir alleine waren, begaben wir uns an Orte, die uns aus irgendeinem Grund anzogen. So war das bei Geir und mir.
An diesem Tag lag das Magische jedoch in dem, was wir taten, und nicht in dem Ort, an dem wir uns aufhielten.
Zündeln, zündeln.
Wir gingen zu einer mehrere Meter entfernt stehenden Fichte. Die Äste kurz über dem Erdboden waren grau, hatten keine Nadeln und sahen unendlich alt aus. Ich knickte zwi schen Daumen und Zeigefinger ein Stück ab. Es war brü chig und ließ sich leicht zerkrümeln. Auf der kleinen Erhebung, auf der dieser Baum stand, wuchs Gras, ebenfalls dünn, zwischen Flächen aus trockener Erde und einer Vielzahl
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