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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mir aufsteigen zu lassen. Als ich den Absatz vor der Tür erreicht hatte und von den Fenstern in der oberen Etage nicht mehr gesehen werden konnte, faltete ich die Hände und schloss die Augen.
    Lieber Gott, dachte ich. Lass nichts passieren, dann verspreche ich dir auch, nie wieder etwas Schlimmes zu tun. Nie, niemals, das schwöre ich hoch und heilig. Amen.
    Ich öffnete die Tür und trat ein.
    Im Flur war es kühler als draußen, und nach dem blendenden Sonnenlicht herrschte in ihm fast völlige Dunkelheit. Der Geruch von Labskaus hing schwer in der Luft. Ich bückte mich und öffnete die Schnürsenkel, stellte die Schuhe vorsichtig an ihren Platz an der Wand, ging die Treppe hoch, versuchte dabei, ein möglichst normales Gesicht zu machen, und blieb auf dem oberen Treppenabsatz zögernd im Flur stehen. Was würde ich jetzt normalerweise tun, sofort in mein Zimmer gehen oder in der Küche vorbeischauen, um herauszufinden, ob das Essen bereits fertig war?
    Stimmen, das Klirren von Besteck auf Essenstellern.
    Kam ich etwa zu spät?
    Waren sie schon beim Essen?
    Oh nein, oh nein.
    Was sollte ich nur tun?
    Der Gedanke kehrtzumachen, ganz ruhig das Haus zu verlassen, den Berg hinauf und in den Wald zu gehen, um nie mehr zurückzukehren, tauchte mitten in meiner Verkrampfung wie ein freudiger Trompetenstoß auf.
    Dann würden sie es bereuen.
    »Bist du das, Karl Ove?«, rief Vater zu mir hinaus.
    Ich schluckte, schüttelte leicht den Kopf, zwinkerte ein paar Mal, holte tief Luft.
    »Ja«, sagte ich.
    »Wir essen!«, rief er. »Jetzt komm schon rein!«
    Gott hatte mein Gebet erhört und meine Bitte erfüllt. Vater war gut gelaunt, das sah ich sofort, denn er saß mit gespreizten Beinen zurückgelehnt auf seinem Stuhl, zwischen seinen Armen war viel Platz, und seine Augen blitzten neckisch.
    »Was hast du denn getrieben, dass du nicht pünktlich zu Hause bist?«, fragte er.
    Ich setzte mich neben Yngve. Vater saß am rechten Kopfende, Mutter am linken. Der Respatex-Tisch mit seinem grauweiß marmorierten Muster und einer grauen Leiste am Rand, mit glänzenden Tischbeinen, unter denen graue Gummi stopper saßen, war mit den braunen Esstellern, den grünen Gläsern, auf deren Boden Duralex stand, einem Korb mit Knäckebrot und dem großen Topf gedeckt, aus dem ein Holzlöffel lugte.
    »Ich war mit Geir unterwegs«, sagte ich und lehnte mich vor, um mich zu vergewissern, dass auf dem Löffel, den ich im nächsten Augenblick anhob, ein Stück Fleisch lag.
    »Und wo wart ihr?«, fragte Vater und hob die Gabel zum Mund. Ein kleiner, blassgelber Krümel, eventuell von einer Zwiebel, hing am Kinn in seinem Bart.
    »Hier unten im Wald.«
    »Aha?«, sagte er fragend, kaute mehrmals und schluckte, wobei sein Blick auf mich gerichtet blieb.
    »Ich dachte, ich hätte euch den Berg hochsteigen sehen?«
    Ich war wie gelähmt.
    »Da waren wir nicht«, sagte ich schließlich.
    »Red keinen Unsinn«, entgegnete er. »Was habt ihr jetzt wieder angestellt, dass du nicht zugeben willst, dass ihr da oben wart?«
    »Aber wir waren doch überhaupt nicht auf dem Berg«, widersprach ich.
    Mutter und Vater wechselten einen Blick. Vater sagte nichts mehr. Ich konnte die Hände wieder bewegen, füllte meinen Teller und begann zu essen. Vater nahm sich noch einmal nach, auch diesmal mit beschwingten Bewegungen. Yngve war fertig, saß neben mir und schaute vor sich hin, eine Hand lag auf dem Oberschenkel, die andere auf der Tischkante.
    »Und wie ist der Tag für unser Schulkind verlaufen?«, erkundigte sich Vater. »Habt ihr Hausaufgaben aufbekommen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »War die Lehrerin nett?«
    Ich nickte.
    »Wie hieß sie noch mal?«
    »Helga Torgersen«, antwortete ich.
    »Ja, richtig«, sagte Vater. »Sie wohnt in … hat sie das erzählt?«
    »In Sandum«, sagte ich.
    »Sie hat auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht«, meldete sich Mutter zu Wort. »Sie ist jung und freut sich darauf, dort zu arbeiten.«
    »Aber wir sind zu spät gekommen«, sagte ich und fühlte mich angesichts der Wende, die alles genommen hatte, ganz leicht.
    »Aha?«, sagte Vater und sah Mutter an. »Das hast du mir gar nicht erzählt?«
    »Wir haben uns verfahren«, erläuterte sie. »Deshalb sind wir ein paar Minuten zu spät gekommen. Aber ich denke, die wirklich wichtigen Dinge haben wir mitbekommen. Stimmt’s, Karl Ove?«
    »Doch«, murmelte ich.
    »Man spricht nicht mit vollem Mund«, sagte Vater.
    Ich schluckte.
    »Ja«, bestätigte ich.
    »Und was ist

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