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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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lachte und ging die Treppe hinunter. Ich beobachtete ihn vom Badezimmerfenster aus, zunächst, wie er einen Fuß auf die Pedale setzte, sich mit dem anderen abstieß, das Bein über die Fahrradstange schwang, und danach, wie er sich im höchsten Gang mächtig ins Zeug legen musste, bis er die Abfahrt mit so viel Schwung erreichte, dass er sich bis zur Kreuzung unten rollen lassen konnte.
    Als er verschwunden war, ging ich in den Flur und blieb einen Moment ganz still stehen, um Mutter und Vater zu orten, aber es herrschte absolute Stille.
    »Mama?«, rief ich leise.
    Keine Antwort.
    Ich ging in die Küche, wo sie nicht war, dann ins hintere Zimmer, wo sie nicht war. War sie vielleicht ins Schlafzimmer gegangen?
    Ich ging hin und blieb einen Moment vor der Tür stehen.
    Nein.
    Dann vielleicht im Garten?
    Aus verschiedenen Fenstern schaute ich auf alle vier Seiten unseres Gartens hinaus, ohne sie entdecken zu können.
    Und ihr Auto stand vor dem Haus?
    Ja, das tat es.
    Dass ich nicht wusste, wo sie sich aufhielt, ließ mich irgendwie den Halt im Haus verlieren, es öffnete sich auf eine verwirrende, fast unheimliche Art, und als Reaktion darauf kehrte ich in mein Zimmer zurück und setzte mich aufs Bett, um ein paar Comics zu lesen, als mir auf einmal schlagartig klar wurde, dass sie natürlich in Vaters Arbeitszimmer war.
    Dorthin setzte ich so gut wie nie meinen Fuß. Wenn es überhaupt einmal vorkam, wollte ich nach etwas fragen, zum Beispiel, ob ich noch aufbleiben und eine bestimmte Fernsehsendung schauen durfte, nachdem ich zunächst an die Tür geklopft und er anschließend Herein gerufen hatte. Es kostete mich viel Überwindung, an diese Tür zu klopfen, oftmals so viel Überwindung, dass ich lieber ins Bett ging, ohne die Sendung gesehen zu haben. Ein paar Mal hatte er uns gebeten, zu ihm hereinzukommen, weil er uns etwas zeigen oder geben wollte, zum Beispiele Briefumschläge voller Briefmarken, die wir ins Spülbecken der Einliegerwohnung legten, das, wenn ich recht sah, ausschließlich zu diesem Zweck benutzt wurde, bis sich der Leim auflöste und wir die Marken, nachdem wir sie einige Stunden hatten trocknen lassen, in unsere eigenen Alben einsortieren konnten.
    Sonst hielt ich mich dort nie auf. Selbst wenn ich alleine zu Hause war, kam ich nicht auf die Idee, das Zimmer zu betreten. Die Gefahr, dass er es herausfinden würde, war viel zu groß, er merkte es immer, wenn etwas außer der Reihe geschah, hatte einen untrüglichen Riecher für solche Dinge, ganz gleich, wie gut ich sie zu verbergen suchte.
    Wie die Sache mit dem Berg beim Essen. Obwohl er lediglich gesehen hatte, wie wir ihn hinaufstiegen, war ihm klar gewesen, dass wir dort eine Dummheit angestellt hatten. Wäre er nicht so gut gelaunt gewesen, hätte er alles herausgefunden.
    Ich legte mich auf den Bauch und begann in einer Nummer von Tempo zu lesen. Es war Yngves Heft, er hatte es sich wiederum von Jan Atle geliehen, und ich hatte es schon viele Male gelesen. Die Zeitschrift war für ältere Kinder und besaß für mich eine starke Aura, einer fernen, aber absolut glänzenden Welt anzugehören. Ich konnte im Grunde keinen Unterschied zwischen den Milieus erkennen, in denen die Comics spielten – ob sie nun im Zweiten Weltkrieg oder dem neunzehnten Jahrhundert in Amerika wie in Tex Willer , Jonah Hex oder Leutnant Blueberry , der Zwischenkriegszeit in England wie in Paul Temple oder in reinen Fantasiewelten wie in Das Phantom , Superman , Batman , Die Fantastischen Vier und bei allen Disney-Figuren spielten –, aber meine Gefühle für sie waren dennoch verschieden, sie weckten unterschiedliche Dinge in mir, wobei einige der Geschichten in Tempo , zum Beispiel, wenn sie auf einer Rennbahn spielten, oder einige der Comics in Buster , zum Beispiel Johnny Puma und Benny Guldfot , besonders anziehend waren, vielleicht auch, weil sie der mir vertrauten Wirklichkeit näherstanden. Die Lederanzüge der Formel-1-Fahrer und ihre Helme mit Visier sah man im Sommer bei Motorradfahrern, die flachen Autos mit ihren Spoilern im Fernsehen, wo sie gelegentlich in die Umzäunung oder in eines der anderen Autos rasten, sich überschlugen und Feuer fingen, so dass der Fahrer entweder verbrannte und starb oder aus dem brennenden Wrack ausstieg und seelenruhig davonging.
    Normalerweise tauchte ich völlig in diese Geschichten ein, ohne darüber nachzudenken, der springende Punkt war ja gerade, dass man nicht dachte, jedenfalls nicht mit seinen eigenen

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