Spielen: Roman (German Edition)
Unsere Lehrerin, die Karmøy-Dialekt sprach, eine große Brille und kurze Haare hatte, Blusen und Röcke trug, all das, was sie uns erzählte und wonach sie uns fragte. Wir sollten lernen, nicht durcheinanderzureden und auch nicht einfach draufloszuplappern, sondern nur dann zu sprechen, wenn wir aufgezeigt und sie einem von uns das Wort erteilt hatte. Anfangs erhob sich nämlich ein Wald aus ungeduldig hin und her wedelnden Händen in der Klasse, und irgendwer rief immer ich, ich, ich , denn sie stellte keine schwierigen Fragen, nur solche, die alle beantworten konnten. Darüber hinaus gab es noch die Pausen und alles, was sich in ihnen abspielte, die vielen Kinder, die dort waren, wie große Gruppen entstanden und wieder verschwanden, Aktivitäten aufblühten und erstarben. Die Haken im Flur vor unserem Klassenzimmer, an die wir unsere Jacken hängten, der Geruch zehnjährigen Putzens mit Schmierseife, der Geruch von Urin in den Toiletten, der Geruch von Milch in den Milchschränken, der Geruch von zwanzig unterschiedlich belegten Pausenbroten, die gleichzeitig in einem Klassenzimmer ausgepackt wurden. Das System der Vertrauensschüler, nach dem jede Woche einem Schüler die Verantwortung dafür übertragen wurde, alles auszuteilen, was ausgeteilt werden sollte, die Tafel nach der Stunde zu putzen und in der großen Pause die Milch zu holen. Das Gefühl, auserwählt zu sein, das man dadurch bekam. Und das ganz spezielle Gefühl, durch die Flure zu gehen, wenn alle in den Klassenzimmern saßen, vollkommen verwaist lagen sie da, und zu beiden Seiten hingen die Jacken, und aus den Räumen, an denen man vorbeiging, drang leises Murmeln, das Tageslicht ließ den Linoleumboden bei Sonnenschein schwach schimmern und Tausende Staubpartikel in der Luft aufleuchten wie eine Miniaturausgabe der Milchstraße. Wie eine Tür, die aufging, ein anderer Junge, der herausgelaufen kam, die Atmosphäre in dem ganzen langen Flur verändern, praktisch alle Aufmerksamkeit und Bedeutung in sich aufsaugen konnte: Plötzlich zählte nur er. Als risse er alle Gerüche, allen Staub, alles Licht, alle Jacken und alles Murmeln mit sich wie ein Komet am Himmel, könnte man vielleicht sagen, der alles Mögliche, woran er vorbeizog, in den langen und im Verhältnis zum leuchtenden Zentrum bleichen Schweif saugte.
Ich liebte den Moment, wenn Geir klingelte und wir zum Supermarkt trotteten, den Wettstreit, der dort darum entstanden war, möglichst früh zur Haltestelle zu kommen, um seinen Ranzen möglichst weit vorne in der Schlange abzulegen, damit man sich später im Bus die besten Plätze aussuchen konnte. Ich liebte es, vor dem Geschäft herumzustehen und die anderen Kinder zu beobachten, die von allen Seiten herbeiströmten. Manche von ihnen wohnten am oberen Ende der Siedlung hinter dem Geschäft, andere kamen aus dem unterhalb gelegenen Ort Gamle Tybakken, wieder andere von den Siedlungen in der Ebene auf der anderen Seite des Bergs. Ganz besonders liebte ich es, Anne Lisbet anzusehen. Sie hatte nicht nur schwarze, glänzende Haare, sondern auch dunkle Augen und einen großen, roten Mund. Sie war immer so fröhlich, sie lachte so viel, und ihre Augen waren nicht nur dunkel, sie leuchteten auch, als hätte sie so viel Freude in sich, dass sie immer von ihr erfüllt war. Ihre rothaarige Freundin hieß Solveig, die beiden waren Nachbarn und immer zusammen, genau wie Geir und ich. Solveig war blass und hatte Sommersprossen, sie sagte nicht viel, aber ihre Augen waren lieb. Die beiden wohnten in der oberen Siedlung in Tybakken, in einer Gegend, in der ich nur ein, zwei Mal gewesen war und niemanden kannte. Anne Lisbet hatte eine ein Jahr jüngere Schwester, berichtete sie, als sie an der Reihe war, den anderen in der Klasse von sich zu erzählen, und einen vier Jahre jüngeren Bruder. Ein anderer Junge in unserer Klasse wohnte ebenfalls dort oben, er hieß Vemund, war ein wenig dicklich und zurückhaltend, vielleicht sogar begriffsstutzig, kam beim Laufen immer als Letzter ins Ziel, war am schwächsten, warf wie ein Mädchen, konnte nicht Fußball spielen, konnte nicht lesen, zeichnete aber gern und mochte auch sonst die meisten Dinge, die man im Haus und im Sitzen tun konnte. Seine Mutter war eine große, kräftig gebaute und energische Frau mit wütenden Augen und schneidender Stimme. Sein Vater war dünn und blass und ging auf Krücken, er litt an einer Muskelkrankheit und war Bluter, wie Vemund uns stolz erzählte. Bluter, was ist das?,
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