Spielen: Roman (German Edition)
Unterricht beteiligte, sich aber als eine Art Schatten in der Schule aufhielt, verringerte unsere Furcht auch nicht unbedingt. Außerdem war er noch aus einem anderen Grund sagenumwoben. Im Vorjahr war an der Ostseite der Insel nur ein paar Meter von den Uferfelsen entfernt ein Sklavenschiff gefunden worden, das dort 1768 gesunken war, über den Fund war in allen Zeitungen berichtet worden, und man hatte ihn sogar im Fernsehen erwähnt. Rektor Osmundsen war einer der drei Taucher gewesen, die das Wrack gefunden hatten. Für mich, dem das Tauchen mehr bedeutete als alles andere, eventuell mit Ausnahme von Segelschiffen, war er der bedeutsamste Mensch, den ich mir vorstellen konnte. Es kam mir vor, als wäre unser Rektor ein Astronaut. Wenn ich zeichnete, waren auf meinen Bildern Blatt für Blatt nur Segelschiffe, Taucher und Wracks, Fische und Haie zu sehen. Wenn ich die Naturdokumentationen sah, die im Fernsehen über Tauchgänge an Korallenriffen oder in Haikäfigen liefen, redete ich noch Wochen später von ihnen. Und hier war er also, der bärtige Mann, der im Vorjahr mit einem Elefantenzahn aus dem Wasser aufgetaucht war, der aus einem der wenigen intakten Wracks eines Sklavenschiffs stammte, die jemals gefunden worden waren.
Schon am zweiten Schultag besuchte er unsere Klasse und erzählte ein wenig über die Schule und die an ihr geltenden Regeln, und als er gegangen war, meinte unsere Lehrerin, er werde schon bald wieder zu uns kommen, um uns von dem Wrack zu erzählen, an dessen Fund er beteiligt gewesen war. Sie hatte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, am Fenster gestanden und während seiner Anwesenheit pausenlos gelächelt, und als er wie versprochen zwei Wochen später wiederkehrte, verhielt sie sich genauso. Ich war Feuer und Flamme für alles, was er zu erzählen hatte, aber auch ein wenig enttäuscht, als sich herausstellte, dass dieses Wrack nur ein paar Meter tief gelegen hatte. Das schmälerte eindeutig seine Leistung, denn ich hatte etwa hundert Meter Tiefe erwartet sowie Taucher, die beim Aufsteigen wegen des hohen Drucks in der Tiefe lange, vielleicht sogar bis zu einer Stunde lang, an einer Leine verharren mussten. Eine gewaltige Dunkelheit, die flackernden Lichtkegel ihrer Taschenlampen, eventuell sogar ein kleines U-Boot oder eine Taucherglocke. Aber im flachen Wasser, unter den Füßen der Badenden, innerhalb der Reichweite jedes beliebigen Jungens mit Schwimmflossen und Schnorchel? Andererseits zeigte er uns Bilder von dem Fund, sie hatten ein Taucherboot, das draußen in der Bucht vertäut lag, sie besaßen Taucheranzüge und Sauerstofffla schen, und das Ganze war sorgfältig und bis in die Details anhand von alten Karten und Dokumenten und so weiter geplant worden.
Vater wäre fast einmal ins Fernsehen gekommen, sie hatten ihn interviewt und alles, es war um etwas Politisches gegangen, aber als wir vor dem Apparat saßen und die Nachrichten schauten, wurde der Beitrag nicht gesendet, und am nächsten Tag auch nicht, als wir erneut zusammensaßen, um ihn zu sehen. Einmal war er allerdings im Radio zu hören gewesen, wo er anlässlich einer Briefmarkenausstellung interviewt wurde, was ich jedoch vergessen hatte, so dass der Beitrag schon gesendet worden war, als ich an dem Tag nach Hause kam, und er mit mir schimpfte.
Mehrere Lehrer hatten anfangs Probleme mit meinem Vornamen, sie waren ja Kollegen meines Vaters und nahmen deshalb an, ich sei nach ihm benannt worden; und dass sie wussten, wer ich war, dass ich der Sohn meines Vaters war, gefiel mir. Vom ersten Tag an gab ich in der Schule mein Bestes, in erster Linie um Klassenbester zu werden, aber auch, weil ich hoffte, es würde Vater zu Ohren kommen, wie schlau ich war.
Ich liebte es, in die Schule zu gehen. Ich liebte alles, was dort geschah, und die Räume, in denen es geschah.
Unsere Stühle, niedrig und alt, aus Eisenrohren, mit einer Holzplatte als Sitzfläche und einer weiteren als Rückenlehne, unsere Pulte, voller Kerben und Tinte von all denen, die vor uns an ihnen gesessen hatten. Die Tafel, die Kreide und der Schwamm; die Buchstaben, die aus der Kreide in der Hand der Lehrerin wuchsen, ein O, ein U, ein I, ein E, ein Å, ein Æ, immer weiß, wie ihre Hände es auch wurden. Der staubtrockene Schwamm, der dunkel wurde und anschwoll, wenn sie ihn im Becken ausspülte, das gute Gefühl, wenn er alles mit seiner nassen Spur fortwischte, die sich minutenlang hielt, bis die Tafel wieder so sauber und grün war wie zuvor.
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