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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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nach. Ich wischte mir die Augen mit dem Ärmel ab, Vater warf mir vier weitere Scheite zu, ich legte sie an ihren Platz, als sich ein Gedanke einstellte, der mich aus meiner Misere heraushob. Ich würde mir das Fußballspiel nicht ansehen. Ich würde sofort in mein Zimmer gehen und Yngve und ihn das Spiel alleine sehen lassen.
    Ja.
    Ja.
    »So«, sagte er und warf mir die vier letzten hin. »Jetzt sind wir fertig.«
    Ich folgte ihm wortlos, zog meine Jacke aus und hängte sie auf, ging die Treppe hoch, erkannte an den Geräuschen aus dem Wohnzimmer, dass Yngve vor dem Fernseher saß und sich das Spiel ansah, und ging in mein Zimmer.
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und tat so, als würde ich lesen.
    Hauptsache, er merkte es.
    Das tat er. Ein paar Minuten später öffnete er die Tür.
    »Das Spiel hat angefangen«, sagte er. »Jetzt komm schon.«
    »Ich will es nicht sehen«, erwiderte ich, ohne seinem Blick zu begegnen.
    »Bist du jetzt etwa auch noch trotzig?«, sagte er.
    Er kam ins Zimmer, packte mich am Arm und zog mich hoch.
    »Komm jetzt«, sagte er und ließ los.
    Ich blieb stehen.
    »ICH WILL DAS FUSSBALLSPIEL NICHT SEHEN!«, rief ich unter Tränen.
    Wortlos packte er von Neuem meinen Arm und zog mich aus dem Zimmer, durch den Flur und ins Wohnzimmer, wo er mich neben Yngve auf die Couch warf.
    »Du bleibst jetzt hier sitzen und siehst dir mit uns das Spiel an«, erklärte er. »Hast du verstanden?«
    Ich hatte mir vorgenommen, die Augen zu schließen, falls er mich zwingen sollte, ins Wohnzimmer zu kommen, aber das traute ich mich nicht.
    Er hatte eine Tüte Isbre-Drops und eine Tüte englischer, mit Schokolade glasierter Karamellbonbons gekauft. Diese Karamellbonbons waren meine Lieblingssüßigkeit, aber die Isbre-Drops mochte ich auch. Die Tüten lagen immer neben ihm auf dem Tisch, und von Zeit zu Zeit warf er Yngve und mir ein Bonbon zu. Das tat er auch heute, aber ich aß sie nicht, sondern ließ sie unangetastet liegen. Schließlich reagierte er darauf.
    »Iss deine Bonbons«, sagte er.
    »Ich habe keine Lust«, entgegnete ich.
    Er stand auf.
    »Du isst jetzt deine Bonbons«, forderte er mich auf.
    »Nein«, sagte ich und fing wieder an zu weinen. »Ich will nicht. Ich will nicht.«
    »Du isst sie jetzt sofort AUF!«, rief er. Er packte meinen Arm und drückte zu.
    »Ich-will-keine … Bonbons-haben«, schluchzte ich.
    Er legte seine Hand auf meinen Hinterkopf und presste ihn nach unten, bis fast auf den Tisch.
    »Da liegen sie«, sagte er. »Siehst du sie? Du wirst sie jetzt aufessen. Sofort.«
    »Ja«, sagte ich, und er ließ los und blieb über mir stehen, bis ich das Karamellbonbon mit Schokoladenglasur ausgepackt und mir in den Mund geschoben hatte.
    Am nächsten Tag wollten wir nach Kristiansand fahren, um meine Großeltern zu besuchen. Das machten wir häufig an den Sonntagen, an denen Start ein Heimspiel hatte. Erst aßen wir gemeinsam zu Mittag, dann gingen Yngve, Vater und Großvater und manchmal auch Mutter zum Spiel, während ich, weil ich dafür noch zu klein war, bei Großmutter blieb.
    Mutter und Vater hatten sich etwas feiner angezogen als sonst. Vater trug ein weißes Hemd, eine braune Tweedjacke mit braunen Ellbogenflicken und eine hellbraune Baumwollhose, Mutter trug ein blaues Kleid. Yngve und ich hatten Hemden und Cordhosen an, Yngves Hose war braun, meine blau.
    Der Himmel war bedeckt, aber die Wolken waren von jener leichten, weißgrauen Sorte, die zwar den gesamten Himmel ausschloss, aber keinen Regen in sich trug. Der Asphalt war trocken und grau, der Kies trocken und blaugrau, und die Stämme der Kiefern, die starr in der Siedlung verteilt standen, waren trocken und rötlich.
    Yngve und ich setzten uns auf die Rückbank, Mutter und Vater saßen vorne. Ehe er den Wagen anließ, zündete Vater sich eine Zigarette an. Ich setzte mich genau hinter seinen Sitz, so dass er mich im Rückspiegel nicht beobachten konnte, wenn ich mich nicht zur Seite lehnte. Als wir die Kreuzung unter der Auffahrt zur Brücke erreichten, faltete ich die Hände und betete stumm:
    Lieber Gott, mach bitte, dass wir heute keinen Unfall haben.
    Amen.
    Ein solches Gebet sprach ich jedes Mal, wenn wir eine längere Fahrt antraten, denn Vater fuhr schnell, lag immer über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, überholte ständig andere Autos. Mutter meinte, er sei ein guter Fahrer, und das war er sicher auch, aber wenn der Wagen beschleunigte und wir auf die linke Fahrbahn wechselten, durchzuckte mich

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