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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sich und riss die Holzscheite mit seinen großen Händen auseinander. Ich stand daneben und sah mit Tränen in den Augen zu.
    »Du stapelst sie am Fels entlang!«, sagte er. »Hast du noch nie einen Holzstapel gesehen?«
    Er sah mich an.
    »Steh hier nicht flennend herum wie ein Mädchen, Karl Ove. Kannst du denn gar nichts richtig machen?«
    Danach hackte er weiter Holz. Ich legte die Scheite jetzt so, wie er es mir gesagt hatte. Schluchzer durchzuckten mich. Ich fror an Händen und Zehen. Immerhin war es nicht weiter schwierig, sie nebeneinanderzulegen, die Frage war nur, wie lang der Stapel werden sollte. Als ich alle in einer Reihe hingelegt hatte, richtete ich mich auf, stand mit hängenden Armen da und betrachtete ihn wie zuvor. Das Leuchten in seinen Augen war verschwunden, das sah ich sofort, als er aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick in meine Richtung warf. Aber wenn ich nichts sagte oder tat, was ihn reizte, musste deshalb nicht unbedingt etwas passieren. Gleichzeitig nagte der Gedanke an das Fußballspiel an mir. Es hatte bestimmt längst angefangen. Er hatte es vergessen, aber so, wie die Dinge jetzt lagen, konnte ich ihn nicht daran erinnern. In meinen Zehen und Fingern piekste es immer mehr. Vater hackte immer weiter und hielt nur gelegentlich kurz inne, um seine Haare mit einer für ihn ganz typischen Geste zurückzustreichen, bei der sein Kopf der Hand in einer Art langsamem Wurf ein wenig nach hinten folgte.
    Kürzlich hatten wir in Pusnes ein Postfach bekommen, so dass in unseren Briefkasten oberhalb des Hauses keine Briefe mehr geworfen wurden, nur die Zeitung kam dort noch an, und Vater musste ab und zu hinfahren, um unsere Post zu holen. Letzten Samstag hatte ich ihn begleitet, und er hatte sich vor dem Rückspiegel im Auto gekämmt, wofür er ungefähr eine geschlagene Minute benötigt hatte. Hinterher hatte er mit der Hand leicht auf seine dichten, glänzenden Haare geklopft und war ausgestiegen. Das hatte ich nie zuvor gesehen. Als er anschließend in das Gebäude ging, drehte sich eine Frau nach ihm um. Sie wusste nicht, dass jemand, der ihn kannte, im Auto saß und alles beobachtete. Aber warum hatte sie sich nach ihm umgesehen? Kannte sie ihn? Ich hatte sie noch nie gesehen. War sie vielleicht die Mutter eines Schülers aus seiner Klasse?
    Ich legte die neuen Holzscheite, die er mir hinwarf, in die Reihe und krümmte und streckte die Zehen schnell in den Stiefeln, aber es half nicht, sie stachen immer weiter.
    Ich wollte ihm sagen, dass ich fror, holte Luft und nahm Anlauf, blieb dann aber doch stumm. Ich drehte mich wieder um und betrachtete den glänzenden Teich, der dort nicht liegen sollte, und sah, wie direkt über dem rostigen Kanaldeckel eine große, durchsichtige Luftblase die Wasseroberfläche durchbrach. Als ich mich erneut umwandte, kam Steinar die Straße herunter. Er trug einen Gitarrenkoffer auf dem Rücken und ging mit vorgeschobenem Kopf; seine langen schwarzen Haare fielen auf die Schultern, wippten leicht auf und ab.
    »Hallo, Knausgård!«, sagte er im Vorbeigehen.
    Vater richtete sich auf und nickte ihm zu.
    »Hallo«, sagte er.
    »Beim Holzhacken, wie ich sehe!«, rief Steinar, ohne seine Schritte zu verlangsamen.
    »Allerdings«, erwiderte Vater.
    Er nahm die Arbeit wieder auf. Ich ging ein paar kurze Schritte auf und ab, auf und ab.
    »Lass das«, sagte Vater.
    »Aber ich friere!«, entgegnete ich.
    Er sah mich kalt an.
    »Fwiewfst du?«, sagte er.
    Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen.
    »Du darfst mich nicht nachmachen«, erklärte ich.
    »So, so, dann dawf iff dich alffo nichft nachmachen?«
    »NEIN!«, schrie ich.
    Er erstarrte, ließ die Axt fallen und kam auf mich zu. Packte mein Ohr und drehte es um.
    »Gibst du mir etwa Widerworte?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich und sah zu Boden.
    Er drehte fester.
    »Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«
    Ich hob den Kopf.
    »Du gibst mir keine Widerworte, hast du verstanden!«
    »Ja«, sagte ich.
    Er ließ los, drehte sich um und legte einen neuen Holzklotz auf den Hackblock. Ich weinte so sehr, dass ich kaum noch Luft bekam. Vater hackte weiter Holz, ohne mir Beachtung zu schenken. Es fehlten nur noch zwei Klötze, dann würde er fertig sein.
    Ich ging wieder zu dem flachen Stapel, legte die neuen Holzscheite auf die alten und krümmte und streckte die Zehen in den Stiefeln. Meine Tränen versiegten, nur vereinzelt hallten sie noch in Gestalt von deplatzierten und gänzlich unkontrollierbaren Schluchzern

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