Spielen: Roman (German Edition)
alles. Offenbar fuhr da oben ein Auto oder Lastwagen über uns hinweg. Und wenn die Röhre nun brach? Und wenn sie schmaler wurde, so dass wir nicht mehr weiterkamen?
In meinen Finger- und Zehenspitzen regte sich leichte Panik. Ich kannte das Gefühl, es tauchte manchmal auf, wenn ich an einem Felsen kletterte und ich mich plötzlich nicht mehr bewegen konnte. In panischer Angst blieb ich dann regungslos stehen und war außerstande, weiter hoch oder wieder hinunterzusteigen, obwohl ich genau wusste, dass mich nur meine eigenen Bewegungen aus dieser Klemme befreien konnten. Ich war unfähig, mich zu bewegen, ich musste mich bewegen, konnte es aber nicht, musste, konnte nicht, musste, konnte nicht.
»Hast du noch Angst?«, fragte ich.
»Ein bisschen. Hast du das Auto gehört? Da kommt noch eins!«
Um mich herum vibrierte es wieder schwach.
Ich rührte mich nicht. An manchen Stellen stand Wasser in der Röhre, das langsam von meiner Hose aufgesogen wurde.
»Ich sehe das Licht!«, rief Geir.
Ich dachte an das enorme Gewicht, das auf der Röhre lastete, und daran, dass sie nur ein paar Zentimeter dick war. Mein Herz pochte wie wild. Auf einmal wollte ich aufstehen. Der Wunsch wuchs rasend schnell in mir, stieß jedoch auf den Gedanken, dass dies nicht ging, da der Stein meinen Körper wie ein Futteral umhüllte. Ich konnte mich nicht bewegen.
Wenn ich in meinem Bett unter der Decke lag, setzte sich Yngve manchmal auf mich und hielt mich so fest, dass ich mich überhaupt nicht mehr bewegen konnte. Die Decke lag straffgezogen auf meiner Brust, die Hände wurden von sei nen Händen gefesselt, die Beine waren unter seinem Körper und der gespannten Decke eingeklemmt. Er tat es, weil er wusste, dass es für mich nichts Schlimmeres gab. Er tat es, weil er wusste, dass ich nach einigen Sekunden als Gefesselter in Panik geraten würde, so dass ich all meine Kraft in dem Versuch bündeln würde, mich zu befreien, und ich, wenn es mir nicht gelang, wenn er mich fest im Griff hatte, so laut schreien würde, wie ich nur konnte. Ich schrie in einem fort wie ein Besessener, und das war ich ja auch, ich war besessen vor Angst, ich konnte mich nicht befreien, ich saß fest, unverrückbar fest, und schrie mir die Lunge aus dem Hals.
Nun spürte ich, dass das gleiche Gefühl mein Herz umklammerte.
Ich konnte mich nicht bewegen.
Ich geriet immer mehr in Panik.
Ich wusste, ich durfte nicht daran denken, dass ich nicht aufstehen konnte, sondern musste geduldig weiterkriechen, denn dann würde sich alles in Wohlgefallen auflösen. Aber das wollte mir nicht gelingen. Ich konnte nur noch daran denken, dass es mir unmöglich war, mich zu bewegen.
»Geir!«, rief ich.
»Ich bin fast draußen!«, rief er zurück. »Wo bist du?«
»Ich stecke fest!«
Sekundenlang herrschte Stille, dann rief Geir:
»Ich kann zu dir kommen und dir helfen! Ich muss nur erst raus und mich umdrehen!«
Die Panik war fast wie ein Atemhauch, denn jetzt war sie außerhalb von mir. Ich bewegte die Unterarme nach vorn und zog die Knie nach. Der Stoff am Rücken meiner Steppjacke schabte an der Röhre über mir entlang. Nur wenige Zentimeter weiter außen lagen viele Tonnen Erde und Gestein. Ich hielt inne. Beine und Arme waren ganz weich. Ich legte mich flach hin.
Was würden Anne Lisbet und Solveig jetzt von mir denken?
Nein, oh nein.
Dann wuchs die Panik wieder. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war eingeschlossen. Ich konnte mich nicht bewegen! Ich war eingeschlossen! Ich konnte mich nicht bewegen!
Irgendwo in der Dunkelheit vor mir rührte sich etwas. Stoff scharrte über den Zement. Ich hörte Geirs Atemzüge, sie waren unverwechselbar, er atmete häufig durch den Mund.
Dann sah ich ihn, sein weißes Gesicht im Dunkeln.
»Sitzt du sehr fest?«, erkundigte er sich.
»Ich glaube nicht«, antwortete ich.
Er packte den Ärmel meiner Jacke und zog. Ich hob den Rücken an und bewegte zunächst den einen Arm, dann den anderen, danach das eine Knie und das andere. Geir krabbelte rückwärts und hielt dabei die ganze Zeit meinen Jackenärmel gepackt. Obwohl er mich nicht zog, denn ich kroch ja selbst, fühlte es sich doch so an, und der Anblick seines weißen Gesichts, fuchsähnlich spitz und ungewöhnlich konzentriert, sorgte dafür, dass ich nicht mehr an die Röhre und die Dunkelheit und die Tatsache dachte, dass ich mich nicht bewegen konnte, und somit in der Lage war, mich zu bewegen, Meter für Meter über den feuchten Beton zu kriechen, der immer
Weitere Kostenlose Bücher