Spielen: Roman (German Edition)
membranartigen Organ tief unten, ebenfalls blutbefleckt und wie alles andere in grelles, fast weißes Licht getaucht. Zwei Hände in Gummihandschuhen wühlten dort unten routiniert herum. Ab und zu sah man einen größeren Bildausschnitt. Dann wurde deutlich, dass der Schacht in einem Menschen geöffnet worden war, der auf einem Operationstisch lag und vollständig von bläulichem, plastikartigem Stoff bedeckt war, und dass die Hände einem Arzt gehörten, der den Mittelpunkt in einem Kreis aus fünf Personen bildete, alle in grüner Kleidung, die beiden mittleren unter einer echsenartigen Lampe, die anderen drei mit Ablagen voller Instrumente und diverser anderer, mir unbekannter Gegenstände neben sich.
Vater stand auf.
»Nein, das kann man sich nun wirklich nicht anschauen«, bemerkte er. »Unglaublich, dass sie so etwas an einem Montagabend im Fernsehen zeigen!«
»Darf ich weitergucken?«, fragte ich.
»Ja, mein Gott«, sagte er und ging zur Treppe.
Die Membran ganz unten pulsierte. Das Blut überspülte sie, und sie schlug das Blut fort, sie stieg auf, bis das Blut sie von Neuem überspülte und sie es wieder wegschlagen, ein weiteres Mal aufsteigen musste.
Plötzlich begriff ich, dass es das Herz war, was ich dort sah.
Wie furchtbar traurig das doch war.
Nicht, weil das Herz schlug und nicht freikam, darum ging es nicht, sondern darum, dass dieses Herz eigentlich nicht gesehen werden sollte, dass es im Verborgenen schlagen sollte, unsichtbar für uns, das war doch vollkommen klar, das erkannte man sofort, wenn man es sah, ein kleines Tier ohne Augen, das in der Brust für sich alleine hämmern und pochen sollte.
Trotzdem schaute ich weiter. Gesundheitsmagazine gehörten zu meinen Lieblingsprogrammen, vor allem die weni gen Sendungen, in denen Operationen gezeigt wurden. Es war lange her, dass ich beschlossen hatte, Chirurg zu werden, wenn ich groß sein würde. Mutter und Vater erzählten manchmal anderen Leuten davon, was amüsant sein sollte, denn ich war doch noch so klein, aber ich meinte es ernst, das war es, was ich tun wollte, wenn ich einmal groß war, andere Menschen aufschneiden und in ihrem Inneren operieren. Ich malte und zeichnete oft Operationen mit Blut und Messern und Krankenschwestern und Lampen, und Mutter hatte mich schon mehr als einmal gefragt, warum ich so viel Blut malte und zeichnete, ob ich nicht einmal etwas anderes malen und zeichnen wolle, Häuser, Gras und Sonne zum Beispiel, und das konnte ich natürlich tun, aber es war eben nicht das, was ich tun wollte . Taucher, Segelschiffe, Raketen und Operationen wollte ich zeichnen und malen, nicht Häuser und Wiesen und Sonnen.
Als Yngve noch ganz klein war und sie in Oslo wohnten, hatte er einmal verkündet, er wolle Müllmann werden, wenn er groß sei. Großmutter lachte sehr darüber und erwähnte es oft. Im selben Atemzug erzählte sie, dass Vater als Kind Handlanger hatte werden wollen. Darüber lachte sie genauso herzlich, manchmal sogar, bis ihr die Tränen kamen, obwohl sie die Anekdote bestimmt schon hundert Mal erzählt hatte. Dass ich Chirurg werden wollte, war nicht im gleichen Maße amüsant, es sagte etwas anderes aus, aber andererseits war ich heute auch viel älter als Yngve, als er das mit dem Müllmann gesagt hatte.
Schritt für Schritt wurden alle Klammern und Schläuche aus dem Schacht im Körper entfernt. Dann wurde der Moderator eingeblendet und kommentierte, was wir gerade gesehen hatten. Ich stand auf und ging in die Küche zurück, wo das Backblech mit den Scones zum Abkühlen auf dem Herd lag. Daneben stand dampfend ein Topf mit Teewasser, und Mutter war dabei, den Tisch mit Tellern, Tassen, Messern und Brotbelag zu decken.
Am nächsten Tag waren die Temperaturen gefallen, und es regnete nicht mehr. Die Stiefel vom Vorjahr passten mir nicht mehr, so dass Mutter stattdessen dicke Socken heraussuchte, die ich in den Gummistiefeln anziehen sollte. Meine blaue, wattierte Steppjacke passte mir noch, und so zog ich sie zum ersten Mal seit dem letzten Winter wieder an. Außerdem eine blaue Mütze, die ich, sobald ich aus dem Haus war, so tief in die Stirn zog, dass sie wie ein schwarzes Dach am oberen Rand meines Blickfelds lag. Anne Lisbet trug eine hellblaue Steppjacke aus glattem und glänzendem Stoff, im Gegensatz zu meiner etwas matten und rauen, eine weiße Mütze, aus der ihre schwarzen Haare lugten, einen weißen Schal, eine blaue Hose und ein Paar rote, nagelneue Stiefel. Sie stand mit den Mädchen
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