Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

nicht über meine verschiedenen Jobs auslassen, außer dass meine Gartenbaufirma sehr gut lief, bis mir irgendjemand, der eine Seele gar nicht verdient hat, meinen Pick-up mit meiner ganzen Ausrüstung gestohlen hat, weshalb ich in dieser Bar gelandet bin, wo ich die gleichen Dinge zu hören bekomme wie Sie von Ihren Gemeindemitgliedern, Luke – nur dass ich sozusagen das Gelaber vom anderen Ende des Schwachsinnsspektrums abkriege: das Wunschdenken und den Schwulst, mit dem die Leute ab Bier Nummer drei loslegen. Haben Ihnen die Leute jemals etwas von den guten Sachen erzählt? Oder haben sie immer nur ihren ganzen Müll bei Ihnen abgeladen?«
    »Nur den Müll. Vielleicht hätte ich doch besser Barkeeper werden sollen.«
    »Sie haben nichts verpasst. Bleiben Sie bescheiden, Bruder. Verkaufen Sie Mais am Straßenrand. Es spricht viel dafür, sich kleine, realisierbare Ziele zu stecken.« Rick sah Karen an. »Und wie steht’s mit Ihnen?«
    »Mit mir? Keine Ahnung. Vielleicht hab ich gar nicht so viel gelernt. Ich arbeite als Empfangsdame für drei Psychiater. Ich sehe eine Menge Verrückte. Aber ich finde verrückte Menschen – na gut, keine Verrückten, aber Menschen mit extrem abweichendem Verhalten – interessanter als die sogenannten Normalen. Ich habe gelernt, dass einer der wichtigsten Indikatoren für Erfolg im Leben das Vorhandensein von ein paar verrückten Verwandten ist. Solange man nureinige wenige der Verrücktheitsgene abbekommen hat, wird man selbst nicht verrückt, nur etwas eigen. Und es ist diese kleine Eigenheit, die einem den Vorteil bringt, die einen erfolgreich macht.«
    »Von der Warte habe ich es noch nie betrachtet«, meinte Luke.
    »Außerdem hab ich gelernt, dass man verschriebene Medikamente auch tatsächlich einnehmen sollte. Ich meine, ist es das wert, von einer Brücke zu springen, nur weil man keine Lust hatte, eine lausige Pille zu schlucken? Und noch etwas: Wenn sehr aufgeregte Patienten hereinkommen, erzähle ich ihnen etwas von meiner Katze Rusty. Es wirkt sehr beruhigend, wenn einem jemand eine Geschichte erzählt. Wenn dir jemand eine Geschichte erzählt, kidnappt er die persönliche Erzählstimme in deinem Kopf. So nahe kommen wir dem sonst nie, mit den Augen eines anderen zu sehen.«

RICK
    Mit Anfang zwanzig arbeitete Rick an einer Texaco-Tankstelle. Wenn er ein Auto betankte, hatte er gerne zugesehen, wie die Zahlen an der Tanksäule höher und höher kletterten. Er bildete sich dann ein, die rasch größer werdenden Zahlen stünden nicht für Geld, sondern für Jahreszahlen, jeder Penny ein Jahr. Er sah zu, wie die Geschichte der westlichen Zivilisation im Jahre Null-Null-Null-Eins begann und dann Fahrt aufnahm: das Mittelalter … die Renaissance … 1776 … Eisenbahnen … der Panamakanal … die Weltwirtschaftskrise … der Zweite Weltkrieg … Suburbia … JFK … Vietnam … Disco … Mount St. Helens … 1984 … Grunge … bis er Peng! mit dem Tod von Kurt Cobain vor die Wand der Gegenwart knallte. Jedes Mal wenn Rick im Geiste dieses Spielchen spielte, erzeugten ein paar Ziffern hinter 19,94 Dollar einen kurzen magischen Moment, in dem er sich in der Zukunft wähnte.
    Und genauso fühlt er sich jetzt, hier in der Lounge, nachdem er die Eingangstür gegen die Außenwelt verbarrikadiert hat. Nur, dass es diesmal keinen anderen Zeitstrom gibt, in den er zurückkehren kann; er lebt nun rund um die Uhr in der Zukunft. Er reibt sich über eine Schramme am linken Zeigefinger, die er sich zugezogen hat, als er den uralten Zigarettenautomaten vor die Tür schob. Dessen verblasstes gelbstichiges Bild von den Niagarafällen ließ ihn älter aussehen als ein Artefakt aus der Gruft des Tutenchamun. Er weiß schon jetzt, dass ihm die Vergangenheit sehr fehlen wird. Er flankt über die Theke, greift sich die Schrotflinte vom Typ Winchester Model 12, die unter der Registrierkasse liegt, und folgt dann Luke zum Hinterausgang, wo sie beide die klotzige Eismaschine auf einem Rollbrett vor die verschlossene Tür manövrieren.
    Rick weiß nicht, was er von dem Trio halten soll, das die Götter da bei ihm einquartiert haben. Soweit er es sehen kann, ist Luke ein versoffener Super- GAU und möglicherweise kriminell. Karen ist eine Fußballmutti auf Abwegen, und Rachel kommt von einem anderen Planeten. Aber er denkt nicht allzu lange über die drei nach. Er konzentriert sich darauf, den Lagerraum der Bar nach irgendetwas abzuscannen, mit dem er einen Menschen umbringen kann. Aber es gibt