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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Händen entfernen, Rick?«
    »Was? Du machst wohl Witze.«
    »Keineswegs. Die sind nicht mehr richtig durchblutet. Sie fühlen sich nicht mal mehr wie Hände an. Sehen Sie doch hin. Sie sind ganz weiß. Diesen kleinen Wunsch werden Sie mir doch erfüllen. Machen Sie mich mit Handschellen am Tisch fest, wenn Sie wollen. Ich habe ein Paar im Innenfach meines Seesacks. Sie können mir doch nicht das Blut abschnüren. Und darf ich Sie daran erinnern, dass Ihr Freund mir den Zeh abgeschossen hat?«
    »Du hast Handschellen in deinem Beutel? Wieso hab ich die übersehen? Augenblick mal – wozu überhaupt Handschellen?«
    »Als ich heute Morgen zu meinem Kreuzzug aufbrach, wusste ich nicht genau, was der Tag bringen würde.«
    Rachel sagt: »Ich glaube, das ist sicher, Rick. Halt ihm die Flinte an den Kopf, während ich ihm das Tape an den Handgelenken aufschneide und ihn dann am Tisch festmache.«
    »Gut. Los geht’s.«
    Rachel öffnet den Seesack und findet die Handschellen, dann kniet sie neben Bertis nieder. Rick passt gut auf und hält Bertis dieSchrotflinte an den Kopf, während Rachel das Klebeband um Bertis’ Handgelenke auftrennt. Dann zieht Rachel den Tisch näher heran und macht Bertis’ rechten Arm mit den Handschellen an einem der Tischbeine fest. Die Aktion verläuft ohne Zwischenfälle.
    »Gut. Ich kann meine Hände bewegen. Danke.«
    »Mein Gott, dieser ganze Irrsinn bloß weil die Ölpreise explodieren«, meint Rick.
    »Öl ist schwarz und dickflüssig wie Schlamm, Rick – wie das sündige Blut, das durch deine Adern fließt.«
    »Okay, Bertis«, sagt Rick. »Ich schätze, es ist mal wieder eine Predigt fällig. Also leg los. Ich bin ganz Ohr.«
    Um die Wahrheit zu sagen, Rick gefällt die Art, wie Bertis redet. Er redet ganz ähnlich wie Leslie Freemont, nur verkauft er einen anderen Schmus. Rick mag den Klang und den Fluss der Wörter.
    Bertis sagt: »Es gibt keinen Mittelweg zwischen Glauben und Unglauben, Rick, keine Abstufungen, keine Halbtöne. Opfere all deine Logik und Theorien auf dem Altar des blinden Glaubens. Was geschrieben steht, ist wahr. Meine Worte sind ohne Fehl, und geheiligt ist der Mensch, der die Schrift verkündet; seinen Worten musst du Folge leisten. Du, Rick, hast noch so viel zu lernen. So sind zum Beispiel Mann und Frau Tiere von verschiedener Art und müssen auch als solche behandelt werden. Jetzt, da die Apokalypse gekommen ist, musst du mehr denn je den Glauben in dein Herz lassen. Du musst lernen, die Gemäßigten anzugreifen, jene, die glauben, es gäbe einen Mittelweg, und denen mit Verachtung und Abscheu begegnen, die an eine Zeichentrickwelt von Friede, Freude, Eierkuchen glauben – das macht es nur leichter, sie zu töten. Du musst dich entscheiden: entweder der Tod oder jemand vollkommen Neues werden.«
    »Und wie wird sich das anfühlen?«
    »Das wird sich anfühlen, als wärst du gestorben und dann reinkarniert worden, nur dass du in deinem eigenen Körper geblieben bist.«
    »Du hast doch gesagt, Reinkarnation wäre Humbug.«
    »Still! Dein neues Leben wird vom Wohlgeruch und Farbenspiel der kommenden Wahrheit durchdrungen sein. Ändere deinen Namen, wenn du willst. Kappe alle Verbindungen zur früheren Welt. Zieh dich für Monate vollständig aus der Welt zurück. Lass jene, die dir nahestehen, dich tot glauben. Lass alles, was von deiner vorherigen Existenz übrig ist, einen ungedeuteten Traum bleiben. Aber denk daran, bald wirst du anders sein, transformiert, und zwar in einer Weise, wie es Worte allein nicht auszudrücken vermögen. Keine Ausflüchte mehr für dich, Rick: keine Drogen, kein Schlaf, kein Alkohol, keine Flucht in die Arbeit, keine Wiederholung oder Abkapselung oder Versuche, die Zeit auszuschalten. Du hast einen weiten Weg vor dir, Rick. Hältst du das durch?«
    »Ich …«, Rick hält einen Moment inne. »Und wie redest du denn eigentlich?«
    Bertis ist aufrichtig verblüfft. »Bitte?«
    »Die Art und Weise, wie du dich ausdrückst. Mal abgesehen vom Thema, kommt es einem vor, als käme die Stimme von einem anderen Ort oder aus einer anderen Zeit. Hast du es einstudiert, so zu reden? Gibt es Schulen, wo man das lernen kann – verrücktes Zeug zu erzählen?«
    Rachel meint: »Bertis drückt sich nur poetisch aus, Rick. Er setzt Rhythmus und Regelmäßigkeit der Rede ein, damit du dich selbst vergisst und seine Worte tieferen Eindruck machen. Im Sozialen Kompetenztraining hat man uns beigebracht, Poesie zu erkennen. Das ist wie Musik – ein

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