Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
begriffen hat, wieso Nord Süd anzieht und warum gleiche Pole einander abstoßen, aber dachte, wenn er nur genau genug hinsähe, würde er vielleicht irgendwelche Fäden erkennen, die sich zwischen den Polen aufeinanderwarfen und sich bekämpften – sichtbare Abwehrschlachten gegeneinander führten. Mit Anfang zwanzig hatte er diese Magneten immer noch gehabt, und da fragte er seine ältere Schwester, die Radiologin geworden war, wie Magnete miteinander kommunizieren würden, um zu wissen, ob sie einander anziehen oder abstoßen sollten. Sie antwortete: »Sie sind von Magnetfeldern umgeben.«
    »Okay, aber was sind Magnetfelder?«
    »Magnetfelder sind Felder, die Magneten umgeben.«
    »Das ist eine Null-Antwort. Wie funktioniert denn so ein Feld?«
    »Na ja, wir wissen, wie man mit diesen Feldern arbeiten kann, wir können vorhersagen, wie stark sie sein werden, wir können sie manipulieren, sagen wir mal mit Abschirmungen oder mit Teilchenbeschleunigern.«
    »Das war nicht meine Frage. Ich will wissen, ob es da kleine Elektronen gibt, wie so winzige M&M-Figürchen mit Boxhandschuhen, die um ihre Pole herumschwirren und die Fäuste sprechen lassen?«
    »Nein, Felder operieren nicht mit Teilchen.«
    »Wie denn dann?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Das wisst ihr nicht?«
    »Nein.«
    »Das heißt, wir wissen von Magnetfeldern nur, dass es sie gibt?«
    »So in etwa. Sie krümmen den Raum. Du musst einfach akzeptieren, dass Magnetfelder Magnetfelder sind und wir vermutlich nie verstehen werden, wie sie funktionieren. Schwerkraft ist auch so ein Feld. Das macht das Gleiche, bloß dass es viel schwächer ist. Man braucht schon einen Planeten von der Größe der Erde, um ein Schwerkraftfeld zu erzeugen, das einen Stein zu Boden fallen lässt. Ein guter kleiner Magnet kann genau dieselbe Anziehungskraft haben.«
    »Verstehe.«
    Aber Luke hatte es nicht verstanden. Es beschäftigte ihn weiterhin. Wenn wir nicht wissen, was ein Feld ist, wie viele andere Dinge gibt es noch, die wir nie begreifen werden? Und was für andere Felder mögen wohl noch existieren, die entweder zu groß oder zu klein für die menschliche Wahrnehmung sind?
    Karen sagt: »Das mit deinem Vater tut mir leid. Meine Mutter macht gerade das Gleiche durch. Alzheimer.«
    »Hm.« Luke denkt kurz nach. »Früher hab ich in Alzheimer die Strafe gesehen, die unserer Spezies auferlegt wurde, weil wir nicht bereit sind, unser Verhalten zu ändern.« Er schweigt einen Moment. »Ich hoffe, das klang nicht so moralisierend.«
    »Du meinst, unser ganz persönliches Verhalten zu ändern?«
    »Ob persönlich oder kollektiv. Ich habe im Lauf der Jahre gelernt, dass sich Menschen fast nie ändern. Was ich über die Jahre an Scheiß von meiner Gemeinde zu hören gekriegt habe. Die meisten Menschen lernen nichts aus ihrem Leben. Oder wenn doch, dann vergessen sie’s bequemerweise, wie es ihnen in den Kram passt. Und wenn sie eine zweite Chance bekommen, vergeigen sie’s gnadenlos. Dasist eins dieser kosmischen Gesetze, gegen die man nicht ankommt. Vielleicht lernen sie etwas, wenn sie eine dritte Chance bekommen – nachdem sie Unsummen an Zeit, Geld, Jugend und Energie verschwendet haben. Aber selbst wenn sie daraus lernen, bedeutet das nicht, dass sie ihr Leben ändern. Die meisten verbiestern einfach nur, weil sie sich nie zu radikalen Veränderungen aufraffen konnten.«
    »In deinem Beruf hast du wahrscheinlich viele Probleme zu hören bekommen.«
    »Oh ja. Sag mal, hat deine Mutter … Hat sie schon vergessen, wer du bist?«
    »Ja. Hat dein Vater dich auch vergessen?«
    »Ja. Praktisch sofort.«
    »Meine Mom scheint offenbar gerade zum Tier zu werden«, meint Karen, »ich weiß nur nicht, was für eins. Sie kreischt. Sie muht. Sie hat aufgehört, ein Mensch zu sein. Da beginne ich mich schon zu fragen, was uns eigentlich zu Menschen macht, was an uns so besonders ist gegenüber allem anderen. Aber gleichzeitig denke ich auch nicht mehr, dass Menschen so in ihrer Natur gefangen sind wie zum Beispiel ein Hund, der seinen Knochen will, oder eine Katze, die das Mausen nicht lässt. Und das gibt mir seltsamerweise eine gewisse Hoffnung. Wir können uns zu etwas anderem entwickeln, auch wenn uns dieses Andere unverständlich ist.«
    »Hmmm«, meint Luke. »Ich ringe im Moment um die Entscheidung, ob es sich für mich überhaupt lohnt, Erinnerungen zu sammeln, wenn ich sie am Ende doch alle wieder verliere, sei es durch Krankheit oder durch Tod. Was hat das Ganze für einen

Weitere Kostenlose Bücher