Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

nachdem, wie man ihr sich nun bald seinem Ende zuneigendes Wesen bewertete, in den Armen.
    Das Leben ist kurz , dachte Luke. Und Schicksal ist für Verlierer. Und Geld ist eine Auskristallisierung von Zeit und freiem Willen – aber es braucht schwefelarmes Rohöl zum Überleben .
    Luke fuhr fort, die Trümmer des Tages zu begutachten, und er wusste nicht, was er nun anfangen sollte. Sein Glaube war verloren, aber mehr denn je war er davon überzeugt, eine Seele zu besitzen – weil seine Seele die vergangenen fünf Stunden erlebt und den Schmerz und die Liebe verspürt hatte – doch was nützt einem eine Seele ohne Glauben?
    Karen war in Tränen aufgelöst, und Luke nahm ihre Hand. Indem er das tat, nahm er den Jammer der menschlichen Existenz an. Luke wusste, dass dies der Moment war, in dem sein Vater gesagt hätte: »Alles ist Gottes Werk.« Und dann hätte er sich Luke zugewandt und gesagt: »Und jetzt, mein Sohn, wäre der passende Moment für ein Gebet.«

RACHEL/SPIELER EINS
    Hier spricht Rachel alias Spieler Eins. Ich bin nicht mehr bei euch, habe aber auch keine Schmerzen oder Ähnliches, also bitte sorgt euch nicht. Ich bekomme nun endlich zu sehen, was sich in dem schwarzen Zeichentrickloch befindet, das Daffy Duck immer auf dem Boden ausgerollt hat, um brenzligen Situationen zu entkommen. Ich habe hier die Vögel bei mir und auch die Pflanzen und alle anderen herrlichen Tiere Gottes. Ich sitze auf einer Lichtung, umgeben von allen Geschöpfen des Waldes, eine Taube auf meiner linken Hand, ein graues Eichhörnchen auf meiner rechten. Ich dämmere vor mich hin, ich ruhe und fühle mich völlig entspannt. Stille habe ich hier gefunden – wo immer »hier« sein mag. Ich gehöre nicht mehr der irdischen Welt an, bin aber auch noch nicht Teil dessen, was nach ihr kommt.
    Ich weiß nicht, wie lange ich hierbleiben werde. Hier ist nur ein Zwischenhalt, und man sollte meinen, ich würde mich hier langweilen, doch Langeweile existiert nur in der linearen Zeit. Die Ewigkeit ist nicht linear, daher gibt es in ihr auch keine Langeweile. Auch kein Tagesgeschehen. Die Ewigkeit ist frei von Nachrichten, denn sie hat nicht mal eine Zeitlinie. Sie ist alles und nichts. Die Ewigkeit kennt keine Kalender.
    Hier ist es auch kühler – und ruhig. Und ich betrachte die Dinge auch nicht mehr wie früher, denn – stellt euch vor – ich verstehe jetzt Metaphern! Das ist eine Überraschung. Ich weiß, dass ein Ding etwas anderes sein kann . Ein brennendes Buch ist tatsächlich gleich Faschismus. Sanft gurrende Tauben sind gleich Frieden. Ich höre in meinen Ohren ein Geräusch, und dieses Geräusch ist der Klang der Farbe der Sonne. Das ist wie vier Metaphern in eine verpackt! Alles kann alles sein!
    Ich glaube nicht, dass mein Kind – wenn er das schon war, als ich niedergeschossen wurde, der befruchtete DNS -Klumpen in mir – hier bei mir ist. Aber ich bin nicht traurig, denn mein DNS -Klumpen ist wahrscheinlich in seinem eigenen Hier.
    Ich habe fast nur glückliche Erinnerungen an mein Leben auf der Erde. Ich erinnere mich, wie Shampooschaum, der sich in den Abfluss der Badewanne schraubt, an wirbelnde Galaxien denken lässt. Ich erinnere mich, wie mein Vater dreimal um den Block gefahren ist, damit ich »Everyday« von Buddy Holly, das im Autoradio lief, zu Ende hören konnte. Ich erinnere mich, wie ich einmal nicht zur Schule gehen musste, damit ich zu Hause die Kaffeemaschine so umprogrammieren konnte, dass ihr Display die Mitteleuropäische Standardzeit statt der Nordamerikanischen anzeigte. Und ich erinnere mich daran, wie das Badezimmer von Wasserdampf erfüllt war und auf dem beschlagenen Spiegel wie durch Zauberhand die Handschrift meiner Mutter erschien: die Worte »Ich ♡ Rachel«. Ich wusste nicht, was das bedeutete – warum sollte jemand eine Herzform mit Buchstaben vermengen? Aber natürlich sollte das bedeuten, dass sie mich liebte – Herz ist gleich Liebe! Das weiß ich daher, wie mein Herz für Rick geschlagen hat. Auch das ist eine schöne Erinnerung.
    Armer Rick. Armer Luke. Arme Karen. Armer Max … Arme alle eigentlich. Menschen müssen alles im Leben in sich quälend hinziehender Echtzeit ertragen – jede einzelne Sekunde. Nicht allein das, wir müssen uns daran erinnern , dass wir unser ganzes Leben zu ertragen haben. Und dann noch diese kosmische Pointe, dass unser aller Leben in Wirklichkeit verschwindend klein ist im Vergleich zur geologischen Zeit oder den zeitlichen Dimensionen der Galaxien