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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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der sich nur für Menschen interessiert, denen es schlecht geht. Ich bin kein Blutsauger. Und ein Heiliger auch nicht.«
    »Einer der Ärzte in meinem Büro hat mal was Schlaues gesagt. Er war Ire und ultrakatholisch. Er meinte, wenn nur noch zwei Katholiken auf der Welt leben würden, müsste einer von ihnen Papst sein.«
    »Ha! Der ist gut.«
    »Und was soll das überhaupt mit diesen Fleischbällchen, Luke?«
    »Fleischbällchen?«
    »Ja, Fleischbällchen. Wen wollen die damit verarschen? Es weiß doch jeder, dass das nur getarnte Hackbraten sind.«
    »Du hast ja eine ganz einmalige Perspektive auf das Leben, was?«
    »Die muss man haben, wenn man eine fünfzehnjährige Tochter hat. Oder man entwickelt sie ganz schnell, wenn man im Safeway steht und dein Nachwuchs den Mann an der Fleischtheke um einen halben Liter Rinderblut bittet.«
    »Wie hast du reagiert?«
    »Ach, ich bin ganz cool geblieben. Wenn es nicht das Rinderblut gewesen wäre, dann irgendwas anderes. Ein Flammenwerfer. EinDrucklufttacker. Als sie ihre vegetarische Phase hatte, hab ich ihr Tofu-Hotdogs gekauft, und sie hielt mir einen Vortrag, dass vegetarische Hotdogs genau genommen noch schlimmer seien als Hotdogs aus Fleischabfällen.«
    »Wieso das?«
    »Sie meinte, damit würde man eine auf Frieden und Freude aufgebaute Lebensweise pervertieren, um Fleisch in seiner schlimmstmöglichen Art nachzubilden. Sie hat gesagt, das wäre, als würde man versuchen, nazifreie Nazis zu erschaffen.«
    »Das ist gut.« Er schwieg einen Moment. »He, weißt du, an welche Sache ich bei Kirche immer denken muss? Eigentlich sind’s sogar zwei Sachen.«
    »Welche denn?«
    »Ich hab der Blaskapelle der Schule bei mir in der Straße zugesehen, wenn sie auf dem Sportplatz probte, und sie war einfach erschreckend – die rauchenden Trümmer von Fleetwood Macs ›Don’t Stop Thinking About Tomorrow‹, soweit das noch zu erkennen war – und der alte Knabe, der sich um ihre Ausrüstung kümmert, stand neben mir und meinte: ›Ach, diese kleinen Engel. Kennen Sie das Geheimnis von Blaskapellen?‹ Als ich Nein sagte, antwortete er: ›Das ist ganz einfach. Selbst wenn die Hälfte der Schüler willkürlich x-beliebige Noten spielt, klingt es immer noch harmonisch.‹ Und genau so sehe ich das bei allem, was organisiert daherkommt, Religion eingeschlossen.«
    »Du hast von zwei Sachen in Verbindung mit Kirche gesprochen.«
    »Stimmt. Letzten Monat wollte ich im Chinaladen ein paar neue grüne Teller kaufen, um die zu ersetzen, die kleine Katschen bekommen hatten, und konnte die, die ich normalerweise kaufe, nicht finden. Ich fragte den Inhaber, ob sie nicht mehr hergestellt würden, und der grinste und meinte: ›Die werden seit vierhundert Jahren hergestellt und werden auch noch die nächsten vierhundert Jahre hergestellt. Sie stehen jetzt nur drüben beim Fenster.‹ Ich schätze, ichwill nicht auch bloß so ein grüner Teller sein, ersetzbar, genormt und irgendwann vergessen.«
    »Sich einzigartig zu fühlen heißt noch nicht, einzigartig zu sein, Luke.«
    »Ich weiß. Aber trotzdem. Wir müssen doch zu etwas nützlich sein. Ich will in die Geschichte eingehen. Ich will einen Wikipedia-Eintrag. Ich will Googletreffer und nicht bloß irgendein lebender Organismus sein, der kommt und geht und keine Spur auf dem Planeten hinterlässt.«
    »Und was wäre daran so falsch?«
    Das war eine Frage, auf die Luke keine Antwort wusste, aber er musste auch keine geben, denn genau in dem Moment war der Strom wieder da, und der Ort, der vorhin noch anmutete wie auf einem mittelalterlichen Gemälde, sah nun aus wie auf einem Tatortfoto. Der Horror der vergangenen paar Stunden eingefangen wie im Schaukasten eines Naturkundemuseums: Lebewesen aus dem Paläozoikum; über die Prärie ziehende Planwagen, die unterwegs Klaviere und Kommoden abwarfen; Sojabohnenkeimlinge, die in der Schwerelosigkeit der Internationalen Raumstation wuchsen; eine Cocktaillounge im Zentrum des nordamerikanischen Kontinents voller Blut, Waffen, verkrümmter Körper und verstreuter Knabbernüsse, ein Zeugnis des Gemetzels und Desasters, das in dem Augenblick über die Menschheit kam, als ihr das Öl ausging. Karen saß da und wiegte Max, ihr Nervenkostüm nur noch von Tesafilm und Gummibändern zusammengehalten, und achtete darauf, nichts zu sagen, was den blinden Jungen noch mehr beunruhigen könnte. Rick saß in zornigem Schweigen da, die perfekte Rachel, genetisch überlegen oder genetisch gehandicapt, je

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