Spieltage
Aber bei allem, was nach Zebec’ Exzessen geschrieben wurde, musste man doch sagen, dass Alkohol natürlich half. Wenn er trank, löste sich nicht nur die Spannung, er sah die Dinge – nun, klarer konnte man wohl nicht sagen, aber doch bewusster, bestimmter, enthusiastischer. Ein Franzose prostete ihm zu. Er gab ihm ein Glas Roten aus. Der Franzose revanchierte sich. Sie konnten sich kaum verständigen, aber Heinz Höher verstand: Es ging darum zu sehen, wer mehr vertrug. Bei dem Wetter war das der einzige vernünftige Sport. Nachdem der Franzose nach vier oder fünf Flaschen nicht mehr konnte, schickte er einen Freund, der für ihn weiter gegen Höher trinken sollte. Höher zwang auch ihn nach vier oder fünf Flaschen zur Kapitulation. Dann ging er durch den Regen zurück ins Ferienhaus und sah sich Deutschland gegen Belgien an.
Die Deutschen gewannen 2:1 durch zwei Kopfballtore von Horst Hrubesch. Hrubesch. Den hatte er in Bochum vor fünf Jahren auch mal im Probetraining gehabt. Damals war Hrubesch schon 24 und spielte noch in der Bezirksliga für einen Klub namens Westtünnen oder so. Er hatte 56 Tore in einer Saison erzielt. Zum Probetraining kam er mit einem ganzen Clan, Familie, Freunde, sicher zehn Mann. Einer aus dem Clan raunte Heinz Höher zu: Wirf dem Horst doch mal Medizinbälle zu. Die köpft er dir auch ins Tor. Er hatte Hrubesch nicht genommen, er dachte, er hätte schon genug gute Stürmer.
Die Bundesliga begann am 15. August 1980, und Heinz Höher trieb mit Clemens im Weitmarer Holz Sport, drei Runden Dauerlauf. Als Ende September ein Mann am Telefon die Störung entschuldigte und sich als Kleidergroßhändler mit griechischen Wurzeln vorstellte, fragte sich Heinz Höher weder, woher der Fremde seine Telefonnummer hatte, noch, wie seriös das Anliegen war. Er kaufte sich noch am selben Tag ein Flugticket nach Athen, traf wie, vom Kleidergroßhändler verabredet, dessen Bekannten, den Präsidenten von Ethnikos Piräus, und erklärte sich per Handschlag bereit, ab sofort den Erstligisten zu trainieren. Er hatte weder einen Vertrag erhalten, noch hatte er von dem Verein irgendetwas gehört. Aber das war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er morgens beim Augenaufschlagen wieder etwas vor sich sah.
Er ging alleine nach Piräus. Die Familie sollte in Bochum bleiben. Sie wussten nicht, wie lange das griechische Abenteuer währen würde.
Ethnikos, fand er heraus, als er dort schon Trainer war, zog selten mehr als 4000 Fans an, und überhaupt schien es wenig zu interessieren, was der Verein tat, solange er nicht abstieg. Die Klasse der Mannschaft hielt Heinz Höher, verglichen mit Deutschland, für ordentliches Amateuroberliganiveau. Es spielte keine große Rolle. Wenn er eine Mannschaft trainierte, dann war dieser Klub sein ganzer Kosmos, dann ging er mit seiner ganzen Geisteskraft darin auf, aus dieser Elf das Beste rauszuholen. Egal, wie schlecht sie war. Der griechische Assistenztrainer, den man ihn zugeteilt hatte, drängte den Dolmetscher, Heinz Höher etwas zu sagen: Trainer, Sie machen ein Gesicht, als ob Sie zehn Frachtschiffe draußen auf dem Meer haben. Das war in der Hafenstadt Piräus wohl das größte Kompliment für Ernsthaftigkeit.
Vor dem Derby gegen das mächtige Olympiakos Piräus sagte Heinz Höher, damit es nicht immer so arg gemächlich zuging: Gegen die könnten wir auch zu neunt spielen. Aber das übersetzte der Dolmetscher lieber nicht.
Unaufgeregt, halbwegs auf Distanz zu den Abstiegsrängen, steuerte Ethinkos durch die Liga. Den bleibendsten Augenblick erlebte Heinz Höher auf Kreta, vor dem Spiel. Er machte wie gewohnt noch einen Spaziergang und stieß auf den trockenen Weiden auf eine Schafherde. Im Gras lag ein klitschnasses Lamm. Es musste erst seit Minuten auf der Welt sein. Fasziniert betrachtete Heinz Höher, wie die Mutter das Lamm ableckte. Er fühlte eine erhabene, aber auch staunende Freude, wie er sie noch nicht gekannt hatte.
So mussten die englischen Kolonialherren ein halbes Jahrhundert zuvor gelebt haben: reichlich entspannt, Maestros in der Ferne, aber doch wissend, dass dies, irgendwie, nicht das reale Leben war. Deutsche Trainer waren die besten der Welt, davon war auch der deutsche Trainer Heinz Höher überzeugt, und als eine Art Entwicklungshelfer fanden sie immer in irgendeinem Winkel der Welt Anstellung, Dettmar Cramer war wohl gerade in Saudi-Arabien, und wo war eigentlich Rudi Gutendorf, noch in Australien oder schon auf den Philippinen? Das war
Weitere Kostenlose Bücher