Spieltage
Namen er sich nicht merkte, brachte ihn bei PAOK Saloniki unter. Sein Vorgänger Gyula Lorant, der neben Heinz Höher als Pionier der Raumdeckung in der Bundesliga galt, war am 31. Mai 1981 auf PAOKs Trainerbank gestorben. Herzinfarkt, diagnostizierte der Arzt. Am besten übernehme er auch gleich Lorants Wohnung, sagte der Dolmetscher. Heinz Höher verstand auf einen Schlag und zu gut, was Vergänglichkeit war.
Diesmal kam Markus mit nach Griechenland. Sein ältester Sohn tat sich in der Schule nicht leicht. Ihn mitzunehmen, ihn unter seine Obhut zu stellen sollte dem Sohn beim Realschulabschluss helfen, fand Heinz Höher. Dass es im Alltag schwierig werden könnte, er und der 17-jährige Sohn alleine, mochte er sich nicht vorstellen. Kartoffeln kochen konnte er jetzt doch auch.
Sie wohnten in einer Wohnung, in der nichts mehr an Gyula Lorant erinnerte, auf den Bergen hinter Saloniki. Unter ihnen glitzerte die Stadt im Sonnenlicht. Ihre Haut färbte sich bronzefarben.
Der Unterricht der deutschen Schule ging bis in den Nachmittag hinein. Wenn der Sohn nach Hause kam, fragte Heinz Höher Markus, wie läuft’s, aber so genau wollte er es gar nicht wissen. Was ihn zufriedenstellte, was ihn mit Stolz erfüllte, war zuzusehen, wie Markus am Strand Windsurfen lernte. Der Junge bekam Kraft, er wurde geschickt, er beherrschte das Meer, die Wellen, die Schläge, und Heinz Höher hatte ein Gefühl, er wird selbstständig, erwachsen.
Wenn PAOK gewann, und PAOK gewann unter ihm sehr oft, liefen ihm die Händler auf dem Markt hinterher, Herr Höher, Herr Höher. Nehmen Sie. Sie drückten ihm einen vollständigen rohen Lammschenkel oder ein klobiges, blutiges Stück vom Kuhrücken in die Hand. Ist für Sie, umsonst. Steak mit Salat konnte Heinz Höher zubereiten. Nur die Kartoffeln waren das Problem gewesen.
Der Dolmetscher hatte ihm noch etwas anderes von Gyula Lorant erzählt. Nach vier Monaten war sein Vorgänger im gepanzerten Wagen zum Training gefahren. Die Fans, Herr Höher.
Er würde sich darauf vorbereiten, dass die Stimmung jederzeit kippen konnte, sagte sich Heinz Höher. Sie fuhren mit dem Bus zum Auswärtsspiel gegen den FC Panionios am Stadion in Athen vor. Dann flogen Steine. Anhalten, schrie Mlanten Fortula, der Torwart, und stürmte aus dem Bus. Er warf die Steine zurück auf die Fans. Heinz Höher fand beim Aussteigen noch einen Brocken am Boden. Er nahm ihn mit und legte ihn zu Hause als Trophäe auf die Kommode. Alles war in Ordnung: Es waren nur die gegnerischen Fans gewesen. PAOK hielt sich mehr als achtbar in Sichtweite der führenden Klubs Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen.
Im Dezember 1981 bekam er einen neuen Nachbarn. Dettmar Cramer übernahm den Lokalrivalen Aris Saloniki.
Während sich Heinz Höher sagte, er verkürze sich in Griechenland das Warten auf die Bundesliga, schien Cramer im Exil das wahre Ziel gefunden zu haben. Er bildete für die FIFA Fußballtrainer in Afrika oder Asien aus, in seinem Lebenslauf standen die Europapokalsiege 1975 und 1976 mit dem FC Bayern zwischen Trainerposten in Japan und Saudi-Arabien. Er wartete nicht auf den Rückruf der Heimat. Er hatte ein anderes Bewusstsein davon, was es bedeutete, als Deutscher vom Ausland den Auftrag zu erhalten, Fußball zu lehren.
Dettmar Cramer war 14 gewesen, als Hitler der Welt den Krieg erklärte. Die Nazis machten ihn, kaum volljährig, zum Fallschirmjäger. Er war ein exzellenter Sportler, sein Körper ideal zum Fliegen. Er maß nur 1,61 Meter. Seine Kampftruppe wurde von Minsk direkt nach Tunis geschickt, von minus 20 Grad direkt in die Wüstensonne, sie waren die Elitesoldaten, sie wurden überall gebraucht, bloß nicht fragen, wozu. Schon sprangen sie über Sizilien ab, das Rauschen der Luft, die sie beim Fallschirmflug zerteilten, war das einzige Geräusch, der Himmel gehörte nur ihnen, der Elite. Dann setzte das Rat-Rat-Rat der Maschinengewehre ein.
Sie waren in einen Hinterhalt geraten. Sie, die Elite, waren nur noch fette, hilflose Tontauben in der Luft. Dettmar Cramer hörte die Kameraden rechts und links von ihm in der Luft sterben, abgeschossen wie Tontauben, und flog weiter, den Boden, den Kugeln entgegen. Schuldige Fragen, die man sich danach stellte: Warum ich? Warum habe ich überlebt, nicht die anderen?
Zu Kriegsende geriet er in holländische Gefangenschaft. Sie sperrten ihn ins Internierungslager Esterwegen. Am Tor stand ein Schild: Arbeit macht frei. Die Nazis hatten Esterwegen als
Weitere Kostenlose Bücher