Spieltage
Er drückte ihnen eine Tablette in die Hand. Die Spieler fragten nicht, was für Tabletten das waren.
Das komme bestimmt von diesen Tabletten, rief Außenverteidiger Johann Sabath, als ein Kollege im Spiel gegen Dortmund mit Schaum vor dem Mund am Boden lag.
Die sind gedopt!, schrie Dortmunds Lothar Emmerich, der Sabath gehört hatte.
Vom Doping wurde viel geredet. In Italien wurde 1964 der Trainer des AC Bologna gesperrt, weil er fünf seiner Spieler gedopt hatte. Die UEFA kündigte im Frühling 1965 Kontrollen von Ärzten aus neutralen Ländern für die Halbfinalspiele des Europapokals der Meister an. Aber was Doping eigentlich war, wurde in keinem Regelwerk definiert. Aus was Doping bestand, erläuterten die Zeitungen nie. Es war nur ein dunkles, geheimnisumwittertes Wort, das man am besten raunte: Doping.
Fast immer ging es dabei um Aufputschmittel, Amphetamine. Bei Heinz Höher in Leverkusen hatten auch einige Spieler immer getönt, wie toll das wirkte, dieses Roniacol, und beim Sex erst. Aber da diese Spieler seiner Meinung nach nicht besonders viel Sex hatten, machte ihr Hohelied auf die Amphetamine Heinz Höher auch nicht neugierig.
Im Verlagsgebäude des Kicker in Nürnberg debattierte die Redaktion nach dem Fall von Bologna, es heiße immer Doping, Doping, aber nie würde eigentlich aufgeklärt: Was ist Doping? Also erklärte Herr Professor Dr. Mellerowicz, Leiter des Instituts für Leistungsmedizin und als ehemaliger deutscher 100-Meter-Meister auch in der Praxis des Sports erfahren, den Lesern: »Für einen vernünftig trainierenden Sportler kann kein Dopingmittel der Welt eine Steigerung seiner natürlichen Leistungen bringen.« Denn Dopingmittel überdeckten einzig die natürliche Ermüdung, was zu einer akuten Überanstrengung und zu einer lange anhaltenden Erschöpfung des Organismus führe. Deshalb rate er, Herr Professor Dr. Mellerowicz: Hände weg vom Doping!
Währenddessen setzte dieser Hockeyspieler Rudi Gutendorf vehement zu.
Schaffen Sie den Riegel ab, der vergrault uns das Publikum, befahl Wilhelm Tiefenbach, der zum Präsidenten aufgestiegene Hockeyabteilungsleiter des Meidericher SV.
Halten Sie sich an Ihren Hockeyschläger, hätte Gutendorf gerne entgegnet. Er biss sich auf die Lippen. Der Tiefenbach war ein Nichts, der wollte sich nur auf seine Kosten profilieren. Aber spätestens nach dem jämmerlichen 1:1 gegen Borussia Neunkirchen am 20. Februar 1965 war Tiefenbach nicht mehr alleine. So wie der Hockeyspieler hatten Tausende Zuschauer genug vom defensiven Fußball. Der Korrespondentenbericht der Süddeutschen Zeitung begann so: »Der Mann stand an der Theke des neuen Stadionrestaurants. Missmutig trank er seinen dritten Weinbrand. ›Dieser verdammte Riegel‹, sagte er. ›Zehn Mark habe ich bezahlt, gefroren wie im Eisbad und von Fußball wahrhaftig nichts gesehen.‹«
Tiefenbach bestellte den Trainer zum wiederholten Mal ein. So gehe es nicht weiter. Er habe ein Freundschaftsspiel gegen Hamborn 07 vereinbart, um die Zuschauer zu versöhnen. Da verlange er von Gutendorf, mit der besten Elf anzutreten.
Einen Teufel werde er tun, die Spieler in einem Kirmeskick zu verheizen.
Herr Gutendorf, Sie werden mit der besten Elf spielen! Das ist ein Befehl.
Dann stellen Sie sich doch selbst auf, Sie Arschloch!
Nun, sagte Gutendorf, dass er noch am selben Abend beurlaubt wurde, war nach dem Gesprächsverlauf dann vermutlich keine Überraschung mehr.
In der Bundesliga flogen die Trainer leichter raus als früher. Nahezu gleichzeitig mit Gutendorf wurden die Trainer in Stuttgart und Kaiserslautern entlassen. »Trainer, deren Teams auf Platz zwölf bis sechzehn rangieren, sitzen auf dem elektrischen Stuhl«, sagte Kurt Sommerlatt. Ihn hatte gerade der Karlsruher SC gefeuert. Alles war größer in der Bundesliga, auch die Angst und Hektik im Angesicht des Misserfolgs.
Doch im Innersten steckte hinter den plötzlichen Trainerwechseln eine tiefe Verehrung für die Trainerzunft. Seit Sepp Herberger beim Weltmeisterschaftssieg 1954 mit seiner Mannschaftsführung, Taktik und Spielerauswahl die Wirkungsmöglichkeiten eines begabten Trainers sichtbar gemacht hatte, glaubten deutsche Fußballvereine an die Magie eines Trainers. Wenn es schlecht um ein Team stand, wenn ein Trainer nicht funktionierte, dann blieb die Hoffnung, ein neuer könne schlagartig, einfach so, alles zum Guten wenden.
Für Gutendorf war das Ende in Meiderich nur ein Anfang. Der Riegel-Rudi war fortan eine Marke. Er
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