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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Behagliches geben sollten, mussten erst wachsen. Markus lernte gerade zu laufen, gelegentlich beugte sich eine Passantin zu dem Kind herunter und sagte etwas. Doris antwortete mit einem Lächeln. Sie bemühte sich, Niederländisch aufzuschnappen, um sich zu verständigen. Aber das Gefühl der Einsamkeit blieb selbst in der Nähe anderer Menschen. Heinz Höher fand, seiner Frau und ihm gehe es recht gut in Holland.
    Er mochte das Gefühl, andere Länder zu entdecken, Beobachter zu sein. Schon Anfang der Fünfziger war er als Jugendlicher mit zwei Freunden per Anhalter durch England und Skandinavien gereist. In einem Bierlokal in Finnland hatte ihm ein Mann mit seinen letzten verbliebenen Zähnen die Bierflasche geöffnet und sie ihm mit dem Gruß »Prost, Heil Hitler« gereicht. Die Angst, er könnte als Deutscher wegen der Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg unerwünscht sein, plagte Heinz Höher nicht. Er hatte sich daran gewöhnt, dass alle ihn mochten, und ging auch im Ausland unbewusst weiter davon aus.
    In der Theorie war es Alltag geworden, dass Fußballer ins Ausland zogen. In den Zeitungen erschienen ständig Meldungen, Millionenofferte für Uwe Seeler aus Italien, oder 1. FC Köln jagt geheimnisvollen Brasilianer, ist es Pelé? In der Praxis spielten 1965 weniger als ein Dutzend deutsche Vertragsfußballer im Ausland und vergleichbar wenige Ausländer in der Bundesliga. Niemand fand, dass sie spezielle Hilfe bei der Integration erhalten sollten. Sie verdienten gutes Geld, oft mehr als die einheimischen Spieler; es war doch an ihnen, sich zu integrieren.
    Heinz Höher war der Meinung, mit den Kollegen bei Twente verstehe er sich recht ordentlich. In den Niederlanden gab es herrlich saftige, ebene Rasenplätze, und das Verteidigen wurde nicht so bierernst wie in der Bundesliga betrieben. Hier fühlte er sich wohl. Die Kollegen bei Twente sagten ihm nicht, was sie fühlten: Der Höher ist ein fremder Vogel, dachte sich Linksaußen Issy ten Donkelaar, der passt sich nicht an.
    Morgens mussten die Profis mit dem Assistenztrainer Mister Robinson, einem Engländer, einen Ausdauerlauf absolvieren, fünf, sechs Kilometer auf der Landstraße. Der ebene Asphalt war gut für ihren Laufstil und das Tempo. Nach ein paar Wochen hatten sie alle entzündete Achillessehnen, Ned Bulatovic, Antoine Kohn, den alle Spitz riefen, und Heinz Höher. Der Mannschaftsarzt verabreichte ihnen Cortisonspritzen. Das überleben nur die Härtesten, sagte Spitz Kohn, ihr Stürmer, ihr Star, als sie die lange Nadel des Doktors sahen. Als die Nadel in seine Sehne eindrang, fiel Kohn in Ohnmacht.
    Cortison war eine feine Erfindung. Wie schnell die Schmerzen verschwanden, schon eine Viertelstunde nach der Spritze spürte Heinz Höher nichts mehr, unglaublich. Nach ein paar Tagen kehrten die Schmerzen zurück. Aber das war kein Problem, dann gab es noch eine Cortisonspritze. Manfred Manglitz, ihr Torwart in Meiderich, hatte sich auch immer mit Cortison die Schmerzen wegspritzen lassen, Manglitz hatte einen Ehrgeiz, brachial, er würde nie ein Spiel verpassen, hatte er sich geschworen und hielt sich daran.
    Als Heinz Höher eine Handvoll freier Tage in Leverkusen verbrachte, erzählte ihm irgendjemand, der Manglitz würde jetzt immer mit Carl-Heinz Rühl zum Training nach Meiderich fahren. Gerne hatten sie eine Spielzeugpistole dabei. Rühl, der auf dem Beifahrersitz saß, suchte auf der Autobahn den Blickkontakt mit dem Fahrer auf der Nebenspur, und wenn dieser herübersah, hielt sich Rühl die Pistole an den Kopf, drückte ab und sank in den Sitz.
    Manglitz konnte sich an den Streich zwar nicht erinnern, aber was spielte das schon für eine Rolle: Eine gute Anekdote lebte unter Bundesligafußballern ewig, ob sie stimmte oder nicht. Für Anekdoten wie diese lebten sie doch.
    Im Allgemeinen allerdings hörte Heinz Höher von den Kollegen in Deutschland wenig. Sie hatten kein Telefon in der Niersstraat 15. Auch Doris’ Eltern in Leverkusen hatten noch keinen Anschluss. Wenn etwas Dringendes zu besprechen war, schickte sie ein Telegramm nach Hause.
    Das zweite Kind war unterwegs.
    Doris sollte es in ihrer Wohnung in der Niersstraat zur Welt bringen, erklärte ihr die niederländische Hebamme. Das sei viel gesünder als im Krankenhaus.
    Das Fernsehen wurde ihre Verbindung nach Hause, seine Verbindung zur Bundesliga. In Enschede, direkt an der Grenze gelegen, ließen sich mit etwas Glück die deutschen Programme empfangen. Samstagabends gegen halb

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