Spieltage
ihn aber sowieso nicht gewollt. Er trinke und faulenze zu viel, selbst zum Studium erscheine er doch nicht mehr.
Heinz Höher trank in Ruhe zwei Bier und einen Klaren, während er die Leute reden hörte, ihm würde keiner etwas anmerken. Zu Hause richtete er seinen Zorn auf das Papier. Wie so oft, wenn die Gedanken in ihm wüteten, schrieb er einen Brief. Mit rotem Kugelschreiber notierte er für Kirchberg, warum Bayer 04 denn nicht den kleinen Schritt tue und gar keine Gehälter mehr zahle. Danach könne man ja in der Amateurliga eine Mannschaft aufbauen, in der keiner mehr rauche, trinke und lache, und noch einmal absteigen. Im Übrigen gehe es keinen etwas an, wenn er ein Glas Bier trinke, sich einen Bart stehen lasse oder wenn er es sich leisten könne, das Studium für zwei oder zwanzig Jahre zu unterbrechen! Solange er in Leverkusen gespielt hatte, habe keiner mehr und schärfer trainiert, und wenn man seinen Anteil daran habe, dass der Verein nach dem Oberligaaufstieg 1962 eine halbe Million statt 200000 Mark in einer Saison einnahm, könne man darauf wohl stolz sein.
Er schickte den Brief nie ab.
Doris fragte nicht, wo werden wir nächstes Jahr sein? Sie wollte ihn nicht aufregen, die Zurückweisung in Meiderich und bei Bayer 04 musste ihm doch zu Herzen gehen. Wenn sie nicht nachfragte, wenn er nichts von Umzugsplänen sagte, konnte sie weiter hoffen, dass sie in Leverkusen blieben.
Heinz Höher wandte sich an die Fußballmakler. Inzwischen gab es schon mindestens vier in Deutschland. Der Etablierteste von ihnen, Herr Dr. Ratz, ein Ungar in München, ließ ihn die Treppen zu seinem Büro im vierten Stock hinaufgehen. Er atme schwer, sagte ihm Ratz oben an der Tür zur Begrüßung, ziemlich ungewöhnlich für einen Fußballer. Hatte Ratz beim Treppensteigen seine Kondition testen wollen? Jedenfalls konnte er ihm nicht weiterhelfen.
Sein alter Makler, Raymond Schwab, hatte, was in Fußballkreisen so erzählt wurde, gerade ein paar Schwierigkeiten. Schwab hatte versucht, zum Ende der ersten Bundesligasaison Preußen Münsters Stürmer Manfred Rummel zu bestechen. Er zahle ihm 5000 Mark, wenn Rummel im Spiel gegen Hertha nach zehn Minuten eine Verletzung vortäusche und aus dem Spiel humple. Die Partie sollte entscheidend für die beiden abstiegsgefährdeten Klubs werden. Rummel hatte Schwabs Angebot seinem Trainer gemeldet.
Seit die Geschichte ihre Runde machte, mieden angeblich einige Klubpräsidenten Schwab. Aber er brauchte sich keine Sorgen zu machen, es war nicht der erste Versuch von Schiebung, so etwas würde im deutschen Fußball schnell unter den Tisch gekehrt und vergessen. So etwas würde niemals zu Problemen führen. Heinz Höher vertraute seine Zukunft ohne Scheu wieder Raymond Schwab an.
Er war 27, im hohen Alter eines Erstligafußballers. In Meiderich hatte er seit Dezember 1964 nur noch einmal spielen dürfen. Er habe keinen Bundesligisten für ihn, sagte Schwab, aber wie wäre es mit Holland?
Heinz Höher sagte dem FC Twente Enschede ohne längeres Grübeln zu. Er war neugierig auf die Welt. Doris glaubte nicht, dass sie ernsthaft gegen den Umzug argumentieren durfte. Er verdiente doch das Geld.
Im Herbst 1965 stand der Umzugswagen vor der Hauptstraße 110. Die Brüder und Freunde waren als Helfer gekommen. Nur Heinz Höher war nicht zu sehen. Er lag im Bett. Er hatte sich am Abend vorher überlegt, wie er sich vor dem Umzug drücken könnte, und so viel Bier und Schnaps getrunken, dass er nicht aufstehen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.
1966
Männer und Frauen
Jeden Mittag, pünktlich um zwölf, weinte Doris Höher. Der Staub war gewischt, die Baumwollwindeln gewaschen, der Einkauf erledigt. Es gab nichts mehr, was sie von dem Gedanken ablenken konnte, dass sie zu viel Zeit alleine mit ihrem anderthalbjährigen Sohn in einem fremden Land verbrachte.
Wenn ihr Mann gegen halb eins vom Morgentraining kam, lächelte sie, fragte, wie es gewesen war, und tischte das Mittagessen auf, Schweinelendchen mit Kartoffelbrei oder Rindersteak mit Bratkartoffeln und Gemüseallerlei. Ein Sportler musste sehr viel Fleisch essen, um stark zu werden.
Die paar Profis in der Mannschaft des FC Twente Enschede trainierten zweimal am Tag. Wenn ihr Mann nachmittags erneut zum Fußballplatz fuhr, ging Doris mit dem Kinderwagen spazieren. In ihrer Straße, Niersstraat 15, standen neue Mehrfamilienhäuser aus Klinkerstein in Reih und Glied. Die frisch gepflanzten Bäume, die der Straße etwas
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