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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Doris. Die Tochter war fünf Wochen alt. Doris schnürte es den Hals zu. Bist du verrückt, wollte sie schreien. Sie rief Heinz’ Schwester Hilla an.
    Das war bei mir nicht anders, sagte ihr Hilla. Als ihr Sohn Bernd zwei Jahre zuvor geboren worden war, verlangte die Schwiegermutter, dass sie das sechs Wochen alte Kind im Sommerurlaub bei ihr ließ. Hillas Mann, Heinz Wachtmeister, müsse sich in den Ferien von der harten Arbeit erholen. Da störe das Kindergeschrei nur. Den Urlaub ertrug Hilla eingehüllt in die eigene lautlose Verzweiflung.
    Doris sah auf Texel den Kinderwagen der Niederländerinnen hinterher. Heinz Höher war verblüfft, warum sie laut fragte, ob mit Susanne wohl alles in Ordnung sei. Die Tochter war doch bei den Schwiegereltern bestens aufgehoben.
    Heinz Höher unterschrieb beim Zweitligisten VfL Bochum einen Vertragsspielervertrag sowie ein einfaches Blatt aus dünnem Papier ohne Briefkopf oder eingestanztes Vereinswappen. Der Vertrag über ein Gehalt von 320 Mark im Monat wurde beim Deutschen Fußball-Bund eingereicht. Auf dem schmucklosen Blatt Papier, das außer Höher niemand sehen sollte, wurden mit zwei Tippfehlern die entscheidenden Zusatzpunkte seines Honorars aufgesetzt. Ein Handgeld von 5000,– DM sowie eine Prämie in gleicher Höhe bei Erreichen der Aufstiegsrunde zur Bundesliga standen ihm zu. Die Tippfehler waren zu vernachlässigen. Auf der Geschäftsstelle des VfL arbeiteten nur eine Sekretärin halbtags sowie abends, nach seiner hauptberuflichen Arbeit bei den städtischen Verkehrswerken, gelegentlich der Geschäftsführer.
    Er werde es noch erleben, wie er den VfL in die Bundesliga führe, hatte Ottokar Wüst nach seiner Wahl zum ersten Vorsitzenden dem jungen Reporter der WA Z gesagt. Die gewagte Prophezeiung noch im Ohr, lächelte Heinz Formann still in sich hinein, während er im Kampf gegen den Redaktionsschluss seinen Text über die Jahreshauptversammlung des VfL auf dem Tresen eines nahen Bistros mit Hand formulierte. Formann wusste, welche Bistros in der Stadt über ein Telefon verfügten, von wo aus er seinen Text telefonisch der Redaktion durchgeben konnte.
    Heinz Höhers Verpflichtung wenige Wochen nach Wüsts Wahl sollte ein Signal sein. Zum ersten Mal stellte der VfL einen Spieler von einem anderen Lizenzspielerverein an. Bislang stammten die Neuzugänge immer aus der eigenen Jugendelf oder unteren Spielklassen.
    Damit Heinz Höher auf sein gewohntes Gehalt kam, vermittelte der VfL ihm zusätzlich zum Fußballspielen einen Posten in der Werbeabteilung eines Gönners, der Schlegel-Brauerei. Vielleicht könne Höher in die Bierkneipen gehen und mit den Leuten über das Schlegel-Pils reden. Weiter waren die Ideen über seine Arbeit nicht gediehen.
    Heinz Höher hatte zum ersten Mal im Leben das Gefühl, es gehe ihm schlecht. Rein vom Verdienst her bestand kein eklatanter Unterschied zu Meiderich oder Leverkusen. Doch mit 28 musste er zum ersten Mal arbeiten gehen. Das fasste er nicht nur als persönliche Erniedrigung auf, sondern auch als Zeichen, wie jämmerlich es um ihn stehe. Als dann auch noch sein vor der Haustür in Bochum geparkter Volkswagen schrottreif gefahren wurde, war das Bild von der eigenen Leidenszeit komplett.
    Das Publikum hatte 1966 ein ganz anderes Image von einem modernen Fußballlizenzspieler. Er verdiente märchenhaftes Geld und wurde auf das Heftigste umschwärmt. »Ein Nationalspieler verlangt ab 70000 Mark«, erzählte der Vizepräsident des Hamburger SV, Herr Dr. Barrelet, dem Spiegel. Der Bergmann-Verlag gab sein erstes Sammelalbum für Postkarten der Bundesligamannschaften heraus, im Aktuellen Sportstudio saßen die Spieler bei Millionen Zuschauern im Wohnzimmer, und ein Torwart konnte gleichzeitig Schlagerstar sein, »Bin i Radi, bin i König«, sang Petar Radenkovic von 1860 München. Durch die Gründung der Bundesliga hatte sich parallel zum echten Leben der Fußballer zum ersten Mal eine zweite Wirklichkeit gebildet: eine Medienrealität. Dort schien die Bundesliga ein Ort des großen Gelds und der neuen Weltläufigkeit, von sportlichem Glanz und finanziell trickreicher Gaunerei.
    In der wahren Wirklichkeit gaben die meisten Fußballer in den späten Sechzigerjahren in ihrer gesamten Spielerkarriere kein einziges Interview. Manchmal drückte der örtliche Polizist ein Auge zu, wenn sie zu schnell fuhren, manchmal gab ein Gönner den Spielern eine Runde Schnaps aus, die sie gar nicht wollten. Das waren so ziemlich die einzigen

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