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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Sondertraining.
    Einige Wochen später gelang Heinz Höher die Rückkehr in die Elf des VfL. Er fühlte sich gleichzeitig leicht und stark.
    Die Lehre der Superkompensation war in der Bundesliga noch unbekannt. Heinz Höher und Hermann Eppenhoff hatten sie bloß angewandt, ohne es zu wissen: Ein Sportler erschöpfte sich eine Zeit lang, indem er im Training über seine körperlichen Möglichkeiten hinausging. Danach trainierte er nur noch sehr wenig, aber durch das Zusammenspiel Extremtraining/Extremerholung erreichte der Körper ein höheres Leistungsniveau als zuvor. 45 Jahre später wollte der Trainer Robin Dutt in der Bundesliga bei Bayer 04 Leverkusen mit dem Konzept der Superkompensation trainieren. Er brachte die Mannschaft gegen sich auf: Was sollte das, in den ersten Tagen der Woche, direkt nach einem Spiel, hart und lang trainieren und ab der Wochenmitte fast gar nicht mehr? Hatte der Trainer überhaupt keine Ahnung von der Trainingslehre?
    Im Frühling 1968 war Heinz Höher schon im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Borussia Mönchengladbach zurück gewesen. Mönchengladbachs Trainer Hennes Weisweiler hatte in den Wochen zuvor statt der Sauna am Montag Training angesetzt, um seiner Elf den Ernst des Spiels zu verdeutlichen. Die Polizei bat die Zuschauer, zu Fuß ins Stadion zu gehen, weil der Parkplatz von der Osterkirmes belegt war. Bochum siegte 2:0. Der dritte Bundesligist war gefallen.
    Als Heinz Höher am nächsten Morgen das Radio einschaltete, hörte er, was wirklich an jenem Abend geschehen war, als sie Mönchengladbach schlugen. Jemand hatte in Berlin ein Attentat auf Rudi Dutschke verübt.
    Heinz Höher verfolgte die Studentenunruhen in den Medien. Die alten Nazis, die noch immer in Verwaltung und Justiz saßen, müssten endlich verschwinden, forderte die Außerparlamentarische Opposition um Dutschke, der ultrakonservative Mief im Land gelüftet werden, wo bei Musiklärm gleich die Polizei erschien und bei ein bisschen nackter Haut im Kino sofort die Aktion Saubere Leinwand auf den Plan trat. Sachlich betrachtet, konnte Heinz Höher einiges davon nachvollziehen, er hatte gewiss nichts gegen die schönen nackten Beine einer Schauspielerin. Doch gleichzeitig erschreckten ihn diese Wilden, die anders als er waren, die, vermutete er, ein anderes Land als er wollten, vielleicht sogar den Kommunismus? Vor allem jedoch hatte er das Gefühl, dass das alles unendlich weit weg von seinem eigenen Leben war.
    Die Halbzeitpause des DFB-Pokalhalbfinals gegen Bayern München wurde von 15 auf zehn Minuten verkürzt, damit das Spiel auch im Falle einer Verlängerung noch bei Tageslicht zu Ende gebracht werden konnte. Der Stadionsprecher verlas ein Telegramm des Minenschiffs MS Bochum an den VfL: »Dickes Torpedo versenken!«
    Wenn Jürgen Jansen für den VfL einen Eckball trat, musste er sich erst einmal einen Weg zwischen den Zuschauern für den Anlauf bahnen. Die Bayern mussten die Eckbälle fast aus dem Stand schießen. Die Bochumer Zuschauer weigerten sich zurückzuweichen. Nach knapp einer Stunde trat Werner Balte einen zischenden Fernschuss aufs Tor, entweder von der Strafraumgrenze, aus 20 oder 25 Metern. Die verschiedenen Angaben fanden sich am nächsten Tag in den Spielberichten der Zeitungsreporter. Sie mussten ihren bloßen Augen vertrauen, die offensichtlich recht unterschiedlich sahen. Dass der Ball im Tor landete, hatten aber alle erkannt. Es stand 2:0.
    Die Bayern fauchten. Beckenbauer schaltete sich in den Angriff ein, seine halbhohen Diagonalpässe mit dem Innenrist waren eine Ode. Für sein Spiel musste ein neues Wort gefunden werden. Die bisherigen Begriffe für seine Position, Doppelstopper oder Ausputzer, waren zu banal, sie kamen seiner Spielweise nicht im Entferntesten nahe. Beckenbauer, der mit 18 bei den Bayern als Linksaußen begonnen hatte, war nun ein Spielmacher aus der letzten Reihe, ein freier, ein freigeistiger Mann im System des Fußballs. Aus der Abwehr ritt er über den gesamten Fußballplatz aus. Sie nannten ihn Libero, weil in der fremden Sprache die Sehnsucht nach Weite und Freiheit anklang, die sein Spiel erfüllte.
    Bochums Trainer Eppenhoff tat etwas Neues, etwas Unerhörtes, Raffiniertes, um Bayerns Angriffswelle zu brechen. Er wechselte aus. Seit Saisonbeginn war eine Auswechslung pro Team gestattet. Eppenhoff tauschte drei Minuten vor Spielschluss Moritz für Jablonski nur, um dem Spiel den Rhythmus zu nehmen.
    In der 90. Minute gelang Ohlhauser für Bayern das Tor zum 2:1.

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