Spieltage
sagte Hagen.
Den Decknamen Hagen hatte sich Peter Georg Friesdorf selbst ausgedacht. Offensichtlich hatte Manfred Manglitz dem Friseur und Friesdorf nicht erzählt, dass er längst mit Cañellas in Verhandlungen stand. Vor dem letzten Spieltag galt die Räuberlehre: Jeder gegen jeden, jeder für sich.
Am letzten Spieltag wollte in Köln fast niemand mehr Fußball sehen. Nur 7000 Zuschauer waren in das Müngersdorfer Stadion gekommen. Beiläufig registrierte Horst Gecks, dass sein alter Kollege aus Meiderich, Manfred Manglitz, zum ersten Mal in der Saison nicht im Kölner Tor stand.
Herbert Windecker, der Offenbach-Korrespondent des Kicker, betrachtete, wie für die Journalisten üblich, das Aufwärmen der Mannschaft direkt vom Spielfeldrand aus. Windecker hoffte, noch ein paar Worte mit dem Trainer und den Spielern zu wechseln, ein paar letzte Informationen aufzuschnappen. Offenbachs Mittelfeldspieler Walter Bechtold schüttelte dem Journalisten die Hand. »Du wirst sehen«, sagte Bechtold, »heute werden wir nach Strich und Faden verladen.«
Bechtold mochte selbst nicht glauben, was er sagte. Die gesamte Woche vor dem letzten Spieltag hatten die Offenbacher Spieler miteinander kaum über die Gerüchte von den verschobenen Spielen gesprochen. Es liegt in unserer Hand, sagten sie sich.
Sie spielten, wie der Europapokalsieger Ajax Amsterdam, wie fast alle Teams, mit drei Stürmern, zwei auf den Flügeln, einer in der Mitte. Immer wieder nahm Horst Gecks aus der eigenen Spielhälfte Anlauf, im DFB-Pokalfinale 1970 gegen ebenjene Kölner hatte er nach einem Dribbling über 60 Meter zum 2:0 getroffen, es war das Markenzeichen eines exquisiten Außenstürmers, das Dribbling den gesamten Flügel hinunter. Zur Halbzeit führten die vehement und gedanklich schnell agierenden Offenbacher Kickers 2:1 in Köln. Braunschweig lag 1:0 gegen Oberhausen vorne, während es in Berlin zwischen Hertha und Bielefeld 0:0 stand. In jenem Moment war Rot-Weiß Oberhausen abgestiegen. Offenbachs Geschäftsführer Willi Konrad wandte sich auf der Tribüne an Manfred Manglitz’ Braut.
Dann kann ich Ihnen die 100000 ja schon mal geben.
Manglitz’ Braut lachte mit ihm.
In Berlin wunderten sich die Zeitungsreporter. Herthas Stürmer Zoltán Varga stand mit Stollenschuhen und in Spielkleidung zwischen ihnen im Presseraum und verlangte, eines der Telefone zu benutzen.
Varga rief zu Hause an.
Ist das Geld da, fragte er seine Frau.
Ein Budapester Schulfreund, der mittlerweile in Bielefeld studierte, sollte seinen Anteil an Arminias Gaben mit Spielanpfiff bei seiner Frau deponieren, hatte Varga verlangt.
Nein, niemand sei gekommen, berichtete ihm seine Frau.
Erst die schwache Leistung, dann die Bezahlung, darauf hatten die Bielefelder bestanden. Aber Varga glaubte niemandem mehr. Er bildete sich ein, die Deutschen bei Hertha wollten das Geschäft ohne ihn machen, sie wollten ihm seinen Anteil vorenthalten. Sie glaubten wohl, sie könnten ihn hintergehen, weil er nicht richtig Deutsch sprach. Na, die konnten was erleben. Denen würde er das Geschäft kaputt machen.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit spielte Zoltán Varga wie aufgezogen. Seine Mitspieler versuchten, ihn nicht mehr anzuspielen.
In Köln gelang dem FC nach gut einer Stunde das 2:2 gegen Offenbach. Auch in Braunschweig fiel, nahezu zeitgleich, der Ausgleich. Oberhausens Stürmer Lothar Kobluhn konnte den Ball problemlos ins Tor köpfen, als Braunschweigs Torwart Horst Wolter bei einer Flanke in seinen Verteidiger Wolfgang Grzyb lief und beide zu Boden gingen.
Aber noch immer war Oberhausen abgestiegen, einen Punkt hinter Offenbach und Bielefeld.
Bielefelds Trainer Egon Piechaczek ließ seinen besten Stürmer, Gerd Roggensack, auf der linken Seite statt wie gewohnt auf Rechtsaußen stürmen. So hatte er Bernd Patzke zum direkten Gegenspieler, mit dem die Bielefelder über die Schiebung verhandelt hatten. Zwanzig Spielminuten vor Saisonende rollte ein Flachpass von rechts in den Berliner Strafraum. Patzke rannte von Roggensack weg, sodass dieser unbedrängt das 0:1 erzielen konnte.
»Schieber, Schieber!«, riefen die Zuschauer im Berliner Olympiastadion.
In Köln überfiel die Offenbacher die Angst vor dem Versagen. Eine Stunde lang hatten sie den Takt der Partie bestimmt. Der 2:2-Ausgleich, den ihr starker Verteidiger Roland Weida mit einem verunglückten Rückpass ermöglicht hatte, erinnerte sie daran, was sie alles falschmachen konnten; was sie alles zu verlieren hatten.
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