Spieltage
Ihre Pässe flogen auf einmal quer, nicht mehr nach vorne. Horst Gecks rannte, aber kaum noch mit Ball, sondern nur noch hinterher. Elf Minuten vor Ende des letzten Spieltags kassierte Offenbach erst das Kölner 3:2, dann postwendend das 4:2.
Noch drei Minuten zu spielen in Berlin, und Herthas Zoltán Varga, den die eigenen Mitspieler aus dem Spiel hielten, schnappte sich den Ball. Er durchbrach die Bielefelder Abwehr und trat den Ball mit aller Kraft. Der Ball knallte gegen die Latte. Der blöde Hund, dachte Vargas Teamkollege Jürgen Rumor und wartete auf den Schlusspfiff.
Betreuer mit Transistorradios verbreiteten die Endergebnisse aus allen Stadien. Hertha gegen Bielefeld 0:1. Braunschweig gegen Oberhausen 1:1. Köln gegen Offenbach 4:2.
Horst Gecks schleppte sich zu den Umkleidekabinen und schaffte es nicht mehr hineinzugehen. Er rutschte unmittelbar neben der Kabinentür an der Wand auf den Boden und blieb dort eine Ewigkeit sitzen. Offenbach war abgestiegen.
Wolfgang Overath kam in seiner Rolle als Kölner Staatspräsident in die Offenbacher Umkleidekabine, um sein Beileid auszusprechen.
Horst Gecks fand die Kraft zu denken: Lass uns in Ruhe, sonst trete ich dir in den Arsch.
Im Berliner Olympiastadion bedrängten die Journalisten Herthas Trainer Helmut Kronsbein. Helmut, die Zuschauer riefen: »Schiebung!«
»Das ist doch purer Blödsinn«, wiegelte Kronsbein ab. »Niederlagen der Favoriten sind auch mal drinnen.«
In Frankfurt, wo die Eintracht den Abstieg vermieden hatte, konnte Erich Ribbeck nicht aufhören, die Wahrheit anzudeuten. »Wenn ich an so einige Ergebnisse denke, wird mir unheimlich. Ich kann gar nicht sagen, wie leid mir die Offenbacher tun.«
In Braunschweig machte sich Arminias Geldbote Rupert Schreiner auf den Weg zurück zum Flughafen Waggum. Hätte es besser laufen können? Die Arminia blieb Bundesligist, und er musste die 170000 Mark an Braunschweig nicht zahlen. Die Prämie war doch nur für einen Sieg vereinbart, nicht für ein Unentschieden.
Während Schreiner schon über den Asphalt des Flugplatzes ging, rief ihn jemand.
Ein Mann mit dichtem Haar und beachtlichem Brustkorb lief auf ihn zu.
Wie gut, dass er ihn noch erwische, sagte der Mann. Er sei Max Lorenz, Nationalspieler von Eintracht Braunschweig. Er wolle die Prämie abholen.
Die sei nur für einen Sieg ausgemacht gewesen, protestierte Schreiner. Nachdem ihn Lorenz zwischenzeitlich am Jackenkragen in die Luft hob, überreichte Schreiner ihm 40000 Mark gegen Quittung.
In seinem gecharterten Privatflugzeug ließ sich Schreiner nach Travemünde bringen. Dort, in einem Hotel am Strand, feierte Arminia Bielefeld die Rettung vor dem Abstieg. Als die Nacht schon länger währte, sprang Trainer Egon Piechaczek mit Anzug und Zigarre in den Hotelpool. Wieder aufgetaucht, brüllte er: Man werfe mir den Cañellas nach und Weiber.
Doch Horst-Gregorio Cañellas bereitete seine eigene Feier vor. Am Sonntag, dem 6. Juni 1971, einen Tag nach dem letzten Spieltag, feierte er seinen 50. Geburtstag. In seinem Garten in der Rosenstraße baute er kleine runde Tische mit weißen Tischdecken auf, die Gäste erschienen in hellen Sommeranzügen mit bunt gestreiften Krawatten. Cañellas trug einen schwarzen Anzug. Sein dunkler Pony, ursprünglich fein nach alter Schule mit Wasser zurückgekämmt, hatte sich vom vielen Durchfahren mit der Hand zu einer Tolle aufgetürmt. Bundestrainer Helmut Schön gab sich die Ehre. »Denn wenn mal nicht eitel Wonne herrscht, tun Freunde besonders not«, erklärte er auf der Gartenwiese den lokalen Sportjournalisten, die Cañellas, wie es sich für die private Geburtstagsfeier eines Bundesligapräsidenten gehörte, auch eingeladen hatte. Cañellas wartete, bis die Gäste ein Gläschen in den Händen hielten. Helmut Schön griff zu Orangensaft statt Sekt, schließlich war er Bundestrainer. Cañellas bat um das Wort. Die Gäste waren gespannt, ob er trotz des Abstiegs der Kickers ein paar positive Gedanken finden würde. Ich möchte Ihnen etwas vorführen, sagte Cañellas.
Er nahm an einem der kleinen runden Tische Platz, auf der weißen Tischdecke stand ein holzverkleidetes Telefunken-Tonbandgerät. Cañellas drückte die Starttaste.
53 Fußballspieler und zwei Trainer erklärte der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes für schuldig, Bundesligapartien für insgesamt 1,1 Millionen Mark verschoben zu haben. Neun Mannschaften, also exakt die Hälfte aller Bundesligaklubs, waren involviert. Kickers
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