Spieltage
spricht ihn Horst Gecks nie auf den Bundesligaskandal an. Die Loyalität ist stärker als etwaige Neugierde oder gar Empörung. Das Gefühl verweilt: Als Bundesligaprofis gehören sie zusammen, komme, was wolle. »Der Manglitz war ein ganz Großer«, sagt Horst Gecks, »auch mit dem Mund, aber nicht nur.«
Heinz Höher erkennt die Stimme sofort. »Rate mal, wer dran ist«, plappert die Stimme am Telefon im kölschen Singsang mit lauter Sch- und J-Lauten, kaum dass Höher sich mit Namen gemeldet hat. Es ist Sommer 2012. Er spricht nur noch gelegentlich mit Manglitz, die Entfernung Spanien–Deutschland. Das letzte Mal redeten sie über künstliche Knie. Manfred Manglitz wollte ihm wärmstens seinen spanischen Arzt empfehlen, der macht dein Knie wie neu.
Heinz Höher spürt dieselbe Loyalität zu Manglitz wie Horst Gecks. »Was auch immer gewesen sein mag, irgendwann muss damit einmal Schluss sein.«
Während der wochenlangen Gespräche zu diesem Buch bat Heinz Höher ein einziges Mal, schweigen zu dürfen. Als die Frage fiel: Wie erlebte er den Bundesligaskandal.
»Dazu kann ich nichts sagen.«
Warum nicht?
Ein paar Sekunden war nur sein Atem zu hören.
»Wir spielten ja in den Jahren zuvor auch noch um den Aufstieg in die Bundesliga«, sagte er schließlich. »Und wo wir auch hinkamen, um zu hören, ob man nicht was machen könnte, hieß es: Tut uns leid, ihr kommt zu spät. Die anderen waren schon da.«
Einige erkennt man sofort wieder: Heinz Höher (stehend, ganz links) bei der Tagung der Bundesligatrainer 1973. In der Mitte sitzend Bundestrainer Helmut Schön, zweiter von links Udo Lattek, vierter von rechts stehend Hennes Weisweiler.
Nach 1971, nach dem Skandal
Nur ein paar Zuschauer im kalten Grau der Betontribünen
Bevor Karl Hagen ins Bett ging, machte er alle Lichter im Hotelzimmer an und drehte die Wasserhähne auf. Heinz Höher, der sich das Doppelzimmer in Kopenhagen mit dem Vizepräsidenten des VfL Bochum teilte, wartete einen Moment, was nun geschehen würde. Aber es passierte nichts. Hagen schien entschlossen, bei voller Beleuchtung und laufendem Wasser zu schlafen.
Sie waren im Mai 1972 nach Dänemark gereist, um einen potenziellen Neuzugang, den Libero Morten Olsen, in der Partie der dänischen Nationalelf gegen eine englische Amateurauswahl zu beobachten. Heinz Höher war noch Trainer bei Schwarz-Weiß Essen und arbeitete bereits für den VfL. Im Juli würde er den Trainerposten in Bochum übernehmen. Vereinspräsident Ottokar Wüst sah seit Jahren in Höher den natürlichen Nachfolger, wenn die Zeit von Trainer Hermann Eppenhoff zu Ende ginge. Nun war es so weit.
Vorsichtig fragte Heinz Höher den Vizepräsidenten Hagen, ob er nicht Licht und Wasser ausschalten könne.
Nein, kläffte Hagen. Wir zahlen solch ein Schweinegeld für das Hotelzimmer, dann will ich das Zimmer auch voll ausnutzen.
Heinz Höher erinnerte sich daran, warum Hagen den Spitznamen Patsch trug. Weil er – patsch, patsch – früher einmal als Amateurboxer kräftig zugelangt hatte. Heinz Höher entschied sich, das Thema nicht zu vertiefen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, ohne zu wissen, wie er es geschafft hatte einzuschlafen, brannten noch immer alle Lichter. Das Wasser am Waschbecken und in der Dusche lief. Morten Olsen verpflichteten sie nicht.
Seine Premiere als Bundesligatrainer stand Heinz Höher am 16. September 1972 im Auswärtsspiel gegen Eintracht Braunschweig bevor. Der Saisonstart war um einen Monat nach hinten verschoben worden, um nicht mit den Olympischen Sommerspielen in München zu kollidieren. Während Olympia würden nur wenige Zuschauer zum Fußball gehen, fürchteten die Bundesligisten. Ihre Finanzen litten bereits unter der Ernüchterung des Publikums nach dem Bundesligaskandal. Insgesamt 800000 Eintrittskarten weniger hatten sie im Jahr eins nach dem Skandal verkauft. Der Spitzenfußball war 1972 in Deutschland so verrufen wie nie zuvor. Und gleichzeitig stand er im selben Sommer mit dem Sieg der deutschen Nationalelf bei der Europameisterschaft im Zenit.
Es war die beste und gleichzeitig die schlechteste Zeit. Einerseits war es auf einmal schick, den Fußball primitiv zu finden. Der Bundesligaskandal hatte doch wohl augenscheinlich gemacht, was für eine schamlose, kranke Schau der Profisport war. Zudem mussten in allen Bundesligastadien mit Beschluss vom Frühsommer 1971 Schutzzäune errichtet werden, weil immer häufiger Fanatiker den Platz gestürmt hatten. Bayern Münchens Torwart
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