Spieltage
Meldungen wie jene, dass bei der Weltmeisterschaft in Mexiko erstmals ein Ball aus Kunststoff statt aus Leder eingesetzt wurde.
Von zehn bis 22 Uhr arbeitete Heinz Formann, keinen Tag fehlte er, ein echter Journalist war nie krank. Wenn er einmal schon gegen halb zehn zu Hause war, fragte seine Frau Hanne, die Liebe seines Lebens: Was machst du denn schon hier?
»Und jetzt kommt eine Frage, bei der dem einen oder anderen die Ohren abfallen wird«, las Heinz Höher an einem der nächsten Tag im Mai 1972 von Heinz Formann in der WAZ : »Was ist eigentlich mit Lothar Emmerich? Ja, was ist eigentlich mit ihm?«
Niemand hatte Formann das Schreiben gelehrt. Den Journalismus konnte man nicht lernen oder gar studieren. Das musste man im Blut haben. Formann hielt sich auch nicht mit irgendwelchen Normen auf, wie der strikten Trennung von Tatsachen und Meinung in Zeitungstexten, die irgendjemand mal erhoben haben mochte. Er schrieb autodidaktisch, völlig überzeugt von der eigenen Meinung, mit einer neuen, individuellen Schönheit und Schärfe in seinen Sätzen. Montags führte er seine eigene Kolumne ein, die linke Spalte, in der er seinen feuilletonistischen Beobachtungen freien Lauf ließ. Sehr viele Leute in Bochum begannen die Lektüre der WAZ jeden Montag in der linken Spalte der lokalen Sportseite.
Waren in den Sechzigern Texte über den VfL meist auf die Vorschau am Freitag und den Spielbericht am Montag beschränkt gewesen, so widmete Heinz Formann dem Verein nun oft vier Artikel pro Woche. Das Vordergründige abzubilden – über die Verletzten und die Aufstellung zu informieren, das Spiel nachzuerzählen – war immer noch das Wichtigste, dazu allerdings beleuchtete Formann nun auch den Hintergrund, berichtete von der Verschuldung des Klubs oder den Bemühungen, einen Linksaußen zu finden; auch von seinen eigenen Bemühungen: Heinz Formann fuhr mit Präsident Wüst nach Belgien, um Lothar Emmerich zu begutachten.
Wenn er samstagabends keine gesellschaftlichen Verpflichtungen hatte, schaute Formann das Aktuelle Sportstudio. Ihm gefiel die beschwingte, informelle Herangehensweise, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, dass das Aufkommen des Fernsehens seinen Schreibstil in irgendeiner Form beeinflusste. Die Zeitung war das führende Medium. Wer sich über Fußball und erst recht über den VfL informieren wollte, musste die Zeitung, musste ihn lesen.
Wenn er ein Interview machen wollte, bestellte Heinz Formann den Präsidenten oder den Trainer in die Redaktion. Die Fußballspieler interviewte er nie. Er traf sie gelegentlich in der Panzergrotte oder wechselte nach den Spielen ein paar Worte mit ihnen, aber wozu sollte der Journalist einer stattlichen Tageszeitung für seine Arbeit Fußballspieler interviewen? Das taten die Kollegen von der Sportfachpresse oder den Boulevardzeitungen vielleicht, aber ein Journalist eines Abonnementsblatts zeichnete sich doch dadurch aus, dass er das Spiel mit Worten wohlfeiler beschreiben und analysieren konnte als ein Fußballer, weshalb also würde er Zitate von Spielern in seinen Bericht einfügen? Überhaupt stand ein guter Journalist doch nicht auf der Ebene der Spieler, sondern des Präsidiums und des Trainers.
Ein Journalist ging auch nicht zum Training. Was sollte er da?
Die wenigen Rentner, die jeden Tag zum Training an die Castroper Straße kamen, um der Einsamkeit ihrer Wohnung zu entfliehen, erlebten im Sommer 1972 Fußball als neue Sportart. Der neue Trainer führte Spiele auf kleinen, abgesteckten Spielfeldern durch, zwei gegen zwei, drei gegen drei Spieler, oder er ließ – wie kam er bloß auf solch eine Idee? – auf vier Tore spielen. Mittwochs ließ er seine Mannschaft durch den Sand im Naherholungsgebiet Die Haard laufen.
Die Spieler verstanden, ehrlich gesagt, auch nicht so genau, was Heinz Höher mit den vielen neuen Übungen bezweckte. Denn er erklärte fast nichts. Ihnen machten die vielen neuen Spielformen schlichtweg Spaß, wenngleich die Sandläufe weniger. Sie fühlten, dass das Training vermutlich irgendwie modern war.
Heinz Höher erschien es natürlich, dass er sich Trainingsübungen ausdachte, dass er neue Methoden erfand. Abschauen ging ja nicht, wo hätte er sich etwas anschauen können? Man fuhr doch nicht einfach nach München, Amsterdam oder gar Italien und sah sich das Training der anderen an.
Nachts ging er mit seinem Freund Winzlinger die Trainingspläne durch.
Wenn wir die Trainingsspiele mit Miniteams auf 25 Metern machen,
Weitere Kostenlose Bücher