Spieltage
Platz im Team, liefen aber nur noch, wenn es ihnen gerade passte; wussten alles besser als der Trainer und folgten nur, wenn ihnen gerade danach war. Er sollte es wissen, er war bis vor Kurzem selbst noch ein in die Jahre gekommener ehemaliger Starspieler gewesen.
In Bochum erwarteten ihn bereits zwei solcher Fälle, der 32-jährige Eia Krämer, mit dem er einst in Meiderich in die Bundesliga gestürmt war, und der 34-jährige Reinhold Wosab, der 1966 mit Borussia Dortmund den Europapokal der Pokalsieger gewonnen hatte. Krämer würde er zu nehmen wissen, den musste er nur in der Umkleidekabine seine Ernte 23 rauchen und sein Bier trinken lassen, dann würde der Eia schon brav sein. Aber Wosab? Heinz Höher hatte irgendwie kein gutes Gefühl.
Lassen Sie mich nur machen, ich werde mit Formann reden, beruhigte Präsident Wüst Heinz Höher.
Heinz Formann fand es nicht nur normal, er erwartete es, dass der Präsident des VfL Bochum regelmäßig bei ihm anrief. Schließlich war die WAZ mit täglich 80000 verkauften Exemplaren in Bochum eine Macht. Er wollte ja nicht arrogant klingen, aber was der Franz Borner in den Ruhr Nachrichten über den VfL schrieb, konnte man eigentlich ignorieren, bei seinen läppischen 10000 verkauften Zeitungen täglich.
Zu Hause im Schrank hatte Heinz Formann noch einige Krawatten hängen, bunt, aber noch nicht breit. Sie waren alles, was von seinem alten Leben geblieben war. Mit Mitte zwanzig war er einer der jüngsten Amtmänner in Bochum gewesen. Bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft entschied er nach Unfällen von Bergarbeitern über Krankengelder, Schadensersatz, Invaliditätsrente. Nebenbei schrieb er aus purer Leidenschaft als freier Mitarbeiter Berichte auf der lokalen Sportseite der WAZ. Als er seiner Mutter 1972 gestand, er verlasse die Berufsgenossenschaft, um Redakteur zu werden, hätte er genauso gut sagen können, er gehe zum Zirkus. Wie konnte er den Beamtenstatus für einen Zeitungsposten aufgeben! Wofür hatte er Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften studiert, wofür hatten sie alles getan, damit es ihr Sohn einmal besser hatte, wenn er nun Sportredakteur wurde!
Heinz Formann konnte es seiner Mutter nie erklären: Wenn er eine Akte in der Versicherung bearbeitete, hatte er den Bergarbeiter, um den es ging, nie getroffen, sein Gesicht nie gesehen, er war nur ein grauer Name auf seinem Schreibtisch in diesem grauen Büro. Journalisten dagegen trugen keine Krawatten. Sie stürzten sich hemdsärmlig ins Leben, waren immer dabei, wussten alles, bestimmten mit; und dann der Rausch der Schnelligkeit, wenn er gegen den Redaktionsschluss anschrieb, die tiefe Befriedigung, wenn er am nächsten Morgen das, was er geschaffen hatte, schwarz auf weiß in den Händen halten konnte.
Heinz Formann glaubte, nachts in der Dunkelheit des Schlafzimmers weine seine Mutter wegen seiner tollkühnen Entscheidung. Aber er fand auch, es war an der Zeit, seinen eigenen Wünschen zu folgen. Er war 38.
In der Redaktion schlug der Beat der Schreibmaschinen. Der Gerichtsreporter Schrage hatte bereits fünf, sechs verschiedene Manuskriptseiten auf seinem Schreibtisch liegen. Schrage war nie endgültig mit seinen Texten zufrieden, einen Satz wollte er noch ändern und dann vielleicht noch einen. Er spannte erneut einen Bogen Papier in die Schreibmaschine und tippte die neuen Sätze, ehe er am Ende aus allen Entwürfen die besten Sätze ausschnitt und mit dem Uhu-Kleber zum endgültigen Manuskript zusammenfügte. Verflucht noch mal, rief Schrage. Er hatte die Sätze in der falschen Reihenfolge zusammengeklebt. Auf dem Schreibtisch stand eine Flasche Schnaps.
Ein guter Journalist konnte was vertragen. Schon zum Mittagessen ging die gesamte Redaktion jeden Tag in die Panzergrotte oder in das Gasthaus Dingel. Da gab es kein Mineralwasser. Das Trinken kannte Formann nicht von den Beamten aus der Berufsgenossenschaft. Journalisten, das waren echte Kerle, auch Hemingway war schließlich nicht nur Schriftsteller, sondern ebenso Reporter gewesen.
Am Abend erschien der mächtige Schatten des Maschinensetzers Wolf in der Redaktion. Jetzt muss aber mal Schluss sein, rief Wolf, ich brauche den Text! Gegen 21:30 Uhr brachte Formann seinen Artikel über den VfL zur Setzmaschine, Wolf gab den Text über die Tastatur ein, damit er in Blei gegossen werden konnte. Wenn der Text etwas zu kurz geraten war, stellte Maschinensetzer Wolf noch eine Kurzmeldung darunter. So erschienen auf der Seite »Sport in Bochum« auch
Weitere Kostenlose Bücher