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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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oder den Griff eines Kinderspringseils beleidigen wollte. Er hatte die professionelle Gleitcreme einer billigen Vaselinedose vorgezogen und die Taschentücher in der Apotheke gekauft. Den ganzen Tag hatte er nichts Rechtes mit sich anzufangen gewusst und lange darauf gewartet, dass sie vom Laufen zurückkäme. Jetzt saß sie mit nacktem Unterleib in einem dicken, bunt gestreiften Wollpullover auf Tonis Bett, verhöhnte seine Vorbereitungen und verhielt sich nicht anders als auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer, abgesehen von einer unterschwelligen Feindseligkeit, die mit langen Krallen auf seinen Nerven spielte. Ihr Haar war klitschnass vom Duschen, sie hatte es nicht einmal mit dem Handtuch gerubbelt. Alev schaffte es kaum, sie anzusehen.
    »Willst du dich nicht ganz ausziehen?«, fragte er die spiegelnde Fensterscheibe.
    »Wozu das denn?«
    Es war Wut, die ihn schließlich herumdrehte, und während er Ada anschrie, wussten weder sie noch er, was mit ihm los war. Adas Schamhaar war ebenso blond wie ihr Schopf und ähnelte einem scheuen Pelztier, das sich zwischen den geschlossenen Schenkeln zu vergraben suchte. Vielleicht brüllte er diesen Anblick an. Vielleicht schmerzte ihn etwas in der Brust, und er fühlte zum ersten Mal, dass er ein Herz besaß. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Sache abzublasen, wenigstens für den heutigen Abend - er hätte es sicher getan.
    »Warum machst du es überhaupt?«, schrie er.
    Sie antwortete wie stets in der Sprache des ewigen Eises: »Es bist eher du, der etwas macht.«
    »Du könntest es selber tun, allein im Badezimmer oder auf deinem Bett, und uns diesen peinlichen Auftritt ersparen.«
    »Das wäre grotesk. Ich stelle mich deiner Idee zur Verfügung. C'est tout.«
    »Ada!« Die Nähe der Erzieher wenige Türen weiter zerquetschte sein Brüllen zu einem Zischen. »Es kann dir doch nicht alles egal sein!«
    »Doch. Bislang glaubte ich sogar, das gefalle dir. Im Übrigen würde ich einen anderen Begriff verwenden. Nicht egal, sondern gleich-gültig.«
    Seine Erhitzung brachte ihre Kälte auf den absoluten Nullpunkt, als bildeten sie, Kompressor und Kühlspirale, Teile desselben Temperaturaggregats.
    »Was meinst du damit?«
    »Alev.« Endlich hob sie das Kinn, löste den Blick vom kläglichen Haufen ihrer Jeans und richtete die Augen auf seine Stirn. »Wenn du schlau genug bist, um meine Anwesenheit in diesem Raum auch nur ansatzweise zu verdienen, dann reiß dich zusammen und schalte das Großhirn wieder ein.«
    Ihre Arroganz legte sich wie Balsam auf seine Nerven. Wäre das verängstigte, blonde Tier zwischen ihren Beinen nicht gewesen, hätte Ada in ihrer Halbnacktheit ebenso bekleidet und unverletzlich gewirkt wie in Stiefeln und Jeans.
    »Gleich-gültig bedeutet, dass zwei Dinge gleichermaßen gelten.« Sie sprach im Tonfall eines gut geölten Diskurses.
    »Ich kann tun, was du von mir verlangst, und ich kann es verweigern. Für mich besitzen beide Alternativen den gleichen Wert.«
    »Was willst du überhaupt?«
    Sie dachte nach oder legte eine Kunstpause ein.
    »Wahrscheinlich mit dir zusammen sein. Aber wenn du geglaubt hast, mit dem Ding da meine Seele entjungfern zu können, lagst du falsch. Ich habe keine Seele. Ich habe Gefühle und Verstand, und die Summe daraus ist nichts, was du mit einem Plastikschwanz erreichen könntest. Also spiel dich nicht auf, bloß weil ich keine feuchten Augen kriege.«
    Behutsam stieß er sich von der Tischkante ab, ruhig ging er auf sie zu, ließ sich neben ihr nieder und schloss sie in die Arme, sorgsam jede Berührung mit dem nackten Unterleib vermeidend. Ihr nasses Haar klebte sich an seinen Hals. Viele Male strich er ihr über den Rücken und murmelte Wörter in fremden Sprachen, Beschwörungsformeln, Liebeserklärungen oder Flüche, und egal, was es war, seine Stimme klang nach einer Heimat, die nichts mit geographischen Orten zu tun hatte. Schließlich senkte er Ada rückwärts aufs Bett. Für einen Moment ließ er sie allein, um sich nach den Utensilien auf dem Schreibtisch zu strecken, und legte sich gleich wieder über sie, als gälte es, sie vor dem Erfrieren zu retten. Er küsste ihre geschlossenen Augen, wärmte die Hände wie ein Masseur am eigenen Hals und begann, das blonde Tierchen zu streicheln, als müsste er es dazu bringen, den Kopf zu heben. Nach einer Weile löste Ada den Druck ihrer Schenkel. Alev wusste, dass sie nichts dabei empfinden würde, jedenfalls keine körperliche Lust. Sie hatte ihm erzählt,

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