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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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werde. Ja nee, kommen Sie mal mit. Wir gehen in mein Büro.
    Alles blieb still. Auf dem Rückweg ging sie langsam und beschloss, dass es wohl doch Grund gebe, Alev nachdrücklich zu warnen.
    Sie hatten keine weiteren gemeinsamen Stunden an diesem Tag. In den folgenden Pausen erschien er nicht auf dem Hof. Nach der letzten Stunde wartete sie vergeblich darauf, dass er sie vor dem Klassenzimmer abhole, um sie zum Mittagessen mit ins Internat zu nehmen. Ohne Einladung war ihr der Weg in die oberen Stockwerke verwehrt. Weil es sonst nichts zu tun gab, beschloss sie, gleich mit Laufen anzufangen und das Pensum für heute zu verdoppeln.
    Während sie auf dem Sportplatz eine Runde nach der anderen drehte, durchquerten drei Kurznachrichten den Äther, flitzten über Funkwellen und landeten piepsend und surrend im Taubenschlag ihres Handys.
    Die kürzeste stammte von Olaf: »Überleg es dir noch mal. Dir zuliebe.«
    Die zweite von ihrer Mutter: »bitte komm heute nachmittag nach hause ich brauche dich hier mutter.«
    Und die letzte von Smutek, der ohne Zwischenräume schrieb und die hundertsechzig Zeichen zu nutzen verstand:
    »Vielleicht bin ich verrückt. Ich würde dich gern mal allein treffen, auf Kaffee oder so. Wir könnten reden. Und im Juli ist Kreismeisterschaft, du kannst sie alle in die Tasche stecken.«
    Als Ada die Botschaften las, fragte sie sich, ob Smutek seine Frau verlassen habe, ob für den morgigen Tag ein Bombenanschlag auf Ernst-Bloch geplant sei, der sich nur im Fahrradkeller überleben ließ, und ob ihre Mutter ein bezahltes Attentat auf den Brigadegeneral plane, bei dem sie Hilfe mit der Logistik brauchte. Sie löschte alle Nachrichten und ging nach Hause. Die Zukunft war ein schwieriges Geschäft: Wenn eins nicht passierte, so geschah stattdessen eben etwas anderes.
    Es werden zwei Figuren aus der Geschichte entlassen, bevor vom geplatzten Freitag erzählt werden soll
    E s war das erste Mal, dass eine Vorbesprechung zwischen Ada und Alev ausgefallen war. Ada sagte sich, dass dieser Tatsache keine allzu große Bedeutung beizumessen sei - wie jede Begebenheit würde sie ihre Gründe haben. Inzwischen fühlte sie sich durchaus in der Lage, mit den Anforderungen eines Freitagnachmittags improvisierend fertig zu werden. Nur war das Spiel bislang von strengen Regeln bestimmt gewesen, und niemand hatte diese Regeln gebrochen. Hätte Ada länger darüber nachgedacht, wäre ihr aufgefallen, was es aus der Unregelmäßigkeit zu lernen gab: Alev folgte nach wie vor eigenen Pfaden, deren Ursprung, Verlauf und Ziel niemandem außer ihm selbst - oder jener Instanz, die ihn steuerte - bekannt waren.
    Als er am Freitagmorgen pünktlich und gut gelaunt zur Schule erschien, beantwortete er ihre zwingende Bitte um eine Audienz mit einer Handbewegung, die dem taumelnden Aufstieg eines Riesenschmetterlings glich. Unter Verzicht auf alle Zurückhaltung in der Öffentlichkeit legte er ihr den einen Arm um die Taille, den anderen um die Schultern und zog sie so kräftig an sich, dass ihn das Herrenhafte dieser Geste um zwei Köpfe wachsen ließ und Ada wie ein Paar Skier in seine Armbeuge sank. Das Wenden der Hälse aller Schüler auf dem Hof, die Aufmerksamkeit der Aufsicht führenden Lehrerschaft und selbst die der Passanten außerhalb des fünf Meter hohen Maschendrahtzauns verursachte ein trockenes Rascheln, als hätten die Bäume der angrenzenden Allee ihre frischen Blätter mit einem Mal abgeworfen. Die plötzlich eingetretene Stille allerdings existierte nur in Adas Einbildung. Sie hörte nichts außer Alevs Stimme, die aus warmer, in ihr Ohr geatmeter Luft bestand: »Vergiss nicht, Kleinchen, wer wir sind. Kinder des Nichts, Erben einer Macht, die niemand mehr ausüben will oder kann. Wir können sie nur festhalten, wenn wir die Fäuste nicht öffnen. Vertrau mir.«
    Offensichtlich hatte sein Größenwahn neue Nahrung bekommen; wodurch, blieb gleichgültig, solange nur eine Person behauptete, zu wissen und zu verstehen, was vor sich ging. Mehr haben die Menschen, entgegen aller anderslautenden Beteuerungen, niemals verlangt.
    Bevor aber vom geplatzten Freitag erzählt werden kann, steht der Restdonnerstag breitbeinig im Weg. Aufgrund des ausgefallenen Treffens war Ada drei Stunden früher als gewöhnlich nach Hause zurückgekehrt und hatte somit versehentlich den per SMS übermittelten Wunsch ihrer Mutter befolgt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Aufregung, ausgelöst durch ein Telefax des Brigadegenerals, ihren Gipfel

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