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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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strategischen Fähigkeiten. Denk nach!«
    Ada schwieg. Die Mutter am Esstisch hatte zu weinen begonnen, vergrub das Gesicht in den Armen und zuckte mit den Schultern, hilflos wie ein Kind, das bei Nacht von der Leere des Universums zerrissen wird.
    »Ein sinnloses Strafverfahren kann ich mir in meiner Position nicht leisten«, sagte der Brigadegeneral. »Und du hast, wenn ich es richtig sehe, keine Lust auf Nachforschungen über die Herkunft des Geldes.«
    »Ich dachte mir, dass Teuter dich angerufen hat.«
    »An dieser Front ist die Gefahr vorerst gebannt. Wenn du aber darauf bestehst, nichts von mir erhalten zu haben, sind wir beide geliefert. Du hast die Sache nach wie vor in der Hand. Ich bitte dich um einen Gefallen.«
    »Du schlägst mir ein Geschäft vor.«
    »Nein, Ada.« Jetzt war er ernst. Wenn er wollte, gewann seine Stimme Macht über jede Membran. »Gleichgültig, was du gemacht hast, ich würde dich nie in Schwierigkeiten bringen. Ich bin die Wand, an der du mit dem Rücken stehen kannst.«
    »Vor einem Erschießungskommando?«
    »Das reicht jetzt. Auch Sprachspiele haben ihre Grenzen. Spiele ohne Grenzen gibt es in der Hölle.«
    »Worum genau bittest du mich?«
    »Du sollst einen Brief an die Staatsanwaltschaft schreiben, in dem du versicherst, das Geld von mir erhalten und für private Zwecke verwendet zu haben. Dafür zahle ich deine halsabschneiderische Schule bis zum Abitur, auch wenn das Familiengericht mich nicht dazu verpflichtet.«
    »Das ist eine wissentliche Falschaussage.«
    »Im Zweifel könntest du alles zurücknehmen und die Aussage verweigern. Aber dazu wird es nicht kommen. Deine Mutter wird die Anzeige zurückziehen, und dieses überflüssige Verfahren wird eingestellt.«
    »Manchmal«, sagte Ada leise, »erscheinst du mir vor lauter Pragmatik, Realismus und Bodenständigkeit schon wieder wie ein Geist.«
    »Kleines, wir gehören unterschiedlichen Generationen an und stehen nicht unter dem Zwang, einander verstehen zu müssen. Das ist das Schöne.«
    »Etwas Ähnliches erfahre ich zur Zeit in anderem Zusammenhang.«
    »Das freut mich für dich. Sag ihm einen lieben Gruß und danke für das Geld. Wenn er darauf besteht, werde ich es ihm irgendwann zurückerstatten.«
    In Adas Kopf war im Augenblick nichts mehr zu finden außer audiometrischem weißem Rauschen.
    »Kann ich das Schweigen so interpretieren, dass du einverstanden bist?«
    »Ja.«
    Zwei Buchstaben waren leichter zu sprechen als vier. Ada genoss seine Freude, sein Lachen, das nicht nach Erleichterung klang, sondern nach Entzücken über das besondere Einverständnis zwischen ihnen, über dieses seltene Verhältnis, das sie allein der Tatsache verdankten, dass jeder von ihnen so war, wie er war, und für das sie deshalb niemandem danken mussten. Jetzt glaubte der Brigadegeneral, sie habe einen älteren Geliebten, der für sie sorge. Das war der größte Witz.
    Ohne es zu merken, hatte sie das Telefon so fest ans Ohr gepresst, dass die rechte Backe gerötet war und schmerzte. Mit langsamen Bewegungen kehrte sie ins Zimmer zurück. Die Mutter sah auf und streckte einen Arm nach ihr aus.
    »Ada! Hast du ihm gesagt, dass er sich die Lügen sparen kann? Ich halte zu dir. Ich weiß, dass du das Geld nicht für dich verbraucht hast.«
    Dass sie insoweit Recht hatte, besaß noch mehr traurige Komik. Ada wich ihrem Griff aus, öffnete eine Schublade des alten Sekretärs und nahm Papier und Stift heraus.
    »Was machst du denn? Komm her, sieh mich an. Man darf ihm nicht zuhören, das weißt du doch, nicht? Man muss immer sprechen, laut genug und ohne Unterbrechung, damit er gar nicht zu hören ist. So hab ich es gemacht, als er damals behauptete, dass ich für dein Schulgeld verantwortlich sei.«
    Als Ada saß, den Stift entkappt hatte und die ersten Wörter auf dem Papier erschienen, an die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Bonn, dokumentierte das Absacken des Bluts aus den Wangen der Mutter den Vorgang ihres Begreifens.
    »Warum tust du das?«, flüsterte sie. Die Hysterie hatte echtem Entsetzen Platz gemacht, das eine schauerliche Ruhe verbreitete. Der Stift kratzte über das Papier, verstärkt durch den Resonanzkörper des Tischs, der jeden von Adas kleinen Händen verschütteten Kakao auf seinem Rücken geduldet hatte. »Es geht doch um die Wahrheit. Um unsere Wahrheit. Du sollst auf die Schule gehen, die du möchtest. Du sollst ein Kind sein dürfen, nicht?«
    Ada stand kurz davor, die Fassung zu verlieren. Als die Mutter

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