Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
Geschäften unterwegs.«
    Misstrauisch überflog sie seine Miene wie eine fremdsprachige Buchseite. Ein besonderer Ernst umgab ihn, als hätte er eine Sendung gefunden, die es zu erfüllen galt. Trotz Milchhaut, Vogelknochen und seines kleinen, verletzlichen Mundes trug er die würdevolle Verzweiflung des denkenden Menschen zur Schau.
    »Ich möchte dich bitten, morgen zur Bandprobe zu kommen.«
    »Seit wann proben die Ohren am Freitag?«
    »Gut.« Olaf fuhr sich mit seiner Lieblingsgeste durch die langen Haare. »Formulieren wir es anders. Komm morgen um siebzehn Uhr in den Fahrradkeller.«
    »Um siebzehn Uhr kann ich nicht.«
    »Ada.« Seine Lippen pressten sich aufeinander, Schranken an der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, denen die schwierige Aufgabe zukam, aus den herausdrängenden Massen einzelne, bestimmte Wortindividuen auszuwählen und passieren zu lassen. »Wir scheitern ständig daran, einander etwas erklären zu wollen. Ich bitte dich einfach, morgen um siebzehn Uhr da zu sein. Ich muss mit dir reden. Sagen wir, es ist wichtig. Sagen wir, du schuldest mir noch etwas.«
    »Den letzten Satz streichen wir aus dem Protokoll. Ich werde um achtzehn Uhr da sein.«
    »Ada!«
    Sie erreichte aus dem Stand innerhalb weniger Schritte ihre Höchstgeschwindigkeit, rannte, weil das Linoleum herrlich unter den Gummisohlen schrie, weil sie mit großen Sprüngen beinahe der Schwerkraft entkam und weil sie schon fünf Minuten über dem verabredeten Zeitpunkt war. Die Treppen nahm sie in Viererpaketen, eine Hand auf dem Geländer, von dem sie sich abstieß, um entgegenkommenden Schülern auszuweichen. Quer über den Schulhof, über die Straße, die das Terrain von Ernst-Bloch in zwei Teile schnitt, durch den Park, in dessen Gebüschen Vogelfamilien weiterhin lautstark über den Zustand der Welt stritten.
    Der Schulträger hatte sein Büro im Privathaus der Familie, am äußersten, rheinseitigen Rand des Schulgeländes gelegen. Bei Adas Tempo blieb nicht viel Zeit, unterwegs darüber nachzudenken, was hinter Olafs Drängen stecken mochte und ob sie Alev deswegen verständigen müsste. Sie stand kurz vor dem Entschluss, sich in ihr eigenes Leben nicht einzumischen, als sie Gründers Büro erreichte und mit der Tür ins Zimmer sprang.
    Gründer war schlecht möbliert. Das Gebäude zählte weit über hundert Jahre und verlangte nach einem Design, das hohe Decken, Kronleuchter, Fischgrätparkett und den Erker mit Fensterfront zu meistern wusste. Stattdessen war alles praktisch und abschraubbar, aus naturbelassener Fichte mit Astlochmuster oder aus schwarzem Furnier. Neben dem großen quadratischen Tisch wirkte Teuter wie der kindliche Teilnehmer an einer Bastelstunde.
    Ada sog ein paar tiefe Atemzüge durch die Nase, um die Muskeln mit Sauerstoff zu versorgen, und schaute nur Gründer an, der hinter dem Schreibtisch saß und an einer Pfeife saugte, die das Zimmer mit Vanillearoma füllte.
    »Ja nee, Sie können schon reinkommen«, sagte Teuter.
    »Herein, herein!«, rief Gründer.
    Ada zwang sich zum Durchmarsch, griff im Gehen in die Hosentasche und warf die Geldscheinrolle auf die Tischplatte, wo sie sofort aufschnappte und zu einem unordentlichen Haufen auseinander fiel.
    »Zählen Sie«, sagte Ada. »Ich brauche eine Quittung für den edlen Spender.«
    Die Quittung war ihr erst in diesem Augenblick eingefallen. Erpresste, Freier und beraubte Bankangestellte verlangen keine Quittungen. Gründer nickte zufrieden. Der Betrag stimmte.
    »Falls es zu weiteren Verzögerungen kommt, bitte ich Sie um ein bisschen Geduld«, sagte Ada. »Mein Vater hat zugesagt, die Zahlungen wieder aufzunehmen.«
    »Eine wunderliche Situation«, meinte Gründer und grinste rings um den Pfeifenstiel. »Für mich jedenfalls sind Sie die erste Schülerin, die hier reinkommt, um ihr Schulgeld in bar zu entrichten.«
    »Mich interessiert vor allem, woher das Geld stammt«, sagte Teuter.
    »Bin ich zur Offenlegung meiner Verwandtschaftsverhältnisse verpflichtet?«
    »Sie sind zu gar nichts verpflichtet«, mischte Gründer sich ein und schaukelte seinen Leib in die Höhe, um Adas Hand zu drücken. »Wir freuen uns schließlich, dass Sie bei uns sind.
    Nicht wahr?«
    »Das kommt darauf an«, sagte Teuter. »Es wird sich herausstellen. Schon bald!«
    »Die Freude liegt auf meiner Seite«, sagte Ada und deutete eine Verbeugung an.
    Bis zu der Sekunde, da sie die Tür hinter sich endgültig geschlossen hatte, erwartete sie, dass Teuter sie zurückrufen

Weitere Kostenlose Bücher