Spieltrieb: Roman
Anklage wischte sich mit einem Zipfel der Robe über die Stirn.
Auf die Idee, dass die kalte Sophie beschließen könnte, Ada einfach reden zu lassen, war der Strafrechtsexperte nicht gekommen. Sophie hatte den Kopf in die Hand gestützt, wobei sie die blondierten Borsten an einer Seite platt drückte, und hörte Ada zu, die hartnäckig wie Scheherazade von Prinzessinnen berichtete, vom Fahrradkeller und den Ohren, von Olaf und seiner missglückten Entjungferung, von Smutek, dem Deutschlehrer, und natürlich von Herrn El Qamar, der als neuer Schüler ein Jahr nach ihr auf Ernst-Bloch erschienen war. Als sie die Dahlemer Klassenfahrt und das Nachtbad der Eisfee schilderte, hielt der Saal den Atem an. Bevor die kalte Sophie mit der ersten Frage unterbrach, hatte sie bereits drei Karteikarten abgehandelt.
»Was hatte es mit dem Tod des Geschichtslehrers auf sich?«
Ada fand das Kärtchen mit der Überschrift >Höfi< und machte sich daran, mit Schwung die nächsten Stufen zu erklimmen.
»Davon wollen Sie hören? Ich hätte das Ereignis ausgespart, es steht nur in mittelbarem Zusammenhang mit unserem Fall. -Wie das klingt: unser Fall! Ein Fall fällt nicht, sondern führt eine Hand voll fremder Menschen mit einem Ruck zusammen und bindet sie für eine gewisse Zeit aneinander. Herr Höfling fiel mir direkt vor die Füße. Das werde ich ihm nie vergessen. Er war der beste Lehrer auf Ernst-Bloch. Von Anfang an achtete er mich als ebenbürtigen Gegner, und ich hätte viel für ihn getan, wenn er jemals etwas verlangt hätte. Herrn Smutek hat es härter als alle anderen getroffen. Nicht nur, weil Herr Höfling sein Freund gewesen war. Mit Höfi war das ganze alte Europa vom Dach gesprungen, im Geschichtslehrer starb auch die Geschichte. Falls dem Hohen Gericht diese Ausführungen zu esoterisch sind, kann ich sie auch reduzieren auf den Satz: Es ging uns allen nicht besonders gut in diesen Tagen.«
Die kalte Sophie ließ das >Hohe Gericht< unkommentiert und unterdrückte träge ein Lächeln. Ihr Verhandlungssaal duckte sich in einer Art Lauern, dessen äußere Erscheinung einer kollektiven Kreislaufschwäche glich. Der Staatsanwalt lauschte mit geschlossenen Lidern, unter denen sich seine Augäpfel bewegten. Die Verteidiger bohrten mit starren Blicken Gucklöcher in die Luft, als hielten sie in einer anderen Dimension nach Antworten Ausschau. Der Sachverständige, den die Anwesenheitspflicht nicht traf, war bereits seit längerem auf dem Klo.
Alev und Smutek saßen vornübergebeugt und hatten die Ellbogen auf die Bank gestützt, so dass sie sich jederzeit ansehen konnten, wenn ein Bedürfnis danach entstand. Bei dem Satz: Smutek hat es am härtesten getroffen, nickten beide lange vor sich hin.
»Gut«, sagte die kalte Sophie. »Wir kommen jetzt zum ersten Tatvorwurf. Bitte schildern sie die Ereignisse vom Freitagnachmittag, zwölfter März.«
Ada brauchte nicht einmal ihre Karteikarten umzusortieren.
»Sie müssen wissen, dass ich die Kunst des Davonlaufens pflege, wann immer es Anlass dazu gibt, und das bedeutet: fast täglich. Zwei Tage nach Höfis Tod galt es, vor einer Menge Dingen davonzurennen, und so kam es, dass ich auf dem Sportplatz ein wenig übertrieb. Unterzucker kann sich anfühlen wie eine tödliche Krankheit. Was ich brauchte, war eine kalte Dusche und etwas zu essen. Ich schleppte mich zur Turnhalle und hoffte, dass der Lehrer der Volleyballmannschaft mir öffnen werde, aber bevor ich klingeln konnte, fand ich die Tür unverschlossen. Seit in den Umkleiden geklaut wurde, waren die Lehrer angewiesen, die Tür während des Sportunterrichts zu verriegeln. Deshalb vermutete ich, ein Volleyballer habe dem Dieb heimlich die Tür geöffnet. Nicht alle Schüler auf Ernst-Bloch sind reich, und Drogen kosten Geld. Mein moralisches Empfinden ist in solchen Dingen vollkommen unterentwickelt, und bevor Sie sich festbeißen an der Frage, warum ich nicht auf die Idee verfallen sei, den Lehrer über die unverschlossene Tür zu informieren, möchte ich daran erinnern, dass Sie als Teil des Gerichtswesens die letztverbliebene Instanz in diesem Land verkörpern, deren Aufgabe es ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Ich habe damit nichts zu tun. Ich wollte duschen. In der Lehrerumkleide gibt es eine Mischbatterie, und das Wasser schaltet sich nicht alle paar Sekunden automatisch ab. Nach dem gemeinsamen Lauftraining ließ Herr Smutek mich regelmäßig seine Dusche benutzen, und als ich jetzt einen Blick in den
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