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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman
Autoren: Juli Zeh
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sind hier nicht in Amerika. Sehen Sie irgendwelche Geschworenen?«
    Sie fasste links und rechts von sich in die leere Luft und wedelte mit den Fingern. Wieder lachte Alev hinter vorgehaltener Hand.
    »Nein«, sagte Smutek, »so war es nicht.«
    »Wenn Sie nur die Situation beenden wollten, wäre es doch einfacher gewesen, jemanden um Hilfe zu bitten? Die Polizei? Den Schuldirektor? Die Eltern dieses - zweiten Angeklagten?«
    »Zuschlagen«, sagte Smutek, »ist immer am einfachsten.«
    »Da haben Sie wohl recht«, sagte die kalte Sophie. »Und jetzt, Herr Smutek, sagen Sie uns endlich, warum Sie es getan haben.«
    »Ich weiß nur eine befremdliche Antwort.« Als er nach vorn sah und dem Richterpult das Gesicht zukehrte, geriet der Staatsanwalt perspektivisch ins Abseits, wurde kleiner und verschwand wie eine aus dem Spiel genommene Schachfigur. »Ich kann es nicht näher erklären, aber ich habe es aus Liebe getan.«
    Alev beugte sich vor, um Smutek anzulächeln: »Er sagt die Wahrheit.«
    Die flache Hand des Staatsanwalts traf die Tischplatte.
    »Tut es Ihnen leid?«
    Smuteks Arm fuhr so weit heraus, dass er seinen Rechtsbeistand fast vor die Brust geschlagen hätte.
    »Schauen Sie sich diesen Menschen doch an! Selbstverständlich tut es mir leid.«
    »Danke. Keine weiteren Fragen.«
    Alle Beteiligten machten Notizen. Sophie brachte die Lippen nah ans Mikrophon und rief die erste Zeugin herein. In dem Moment, als sie Adas Namen sagte, befiel sie die merkwürdige Idee, dass sie nicht in der Lage sein würde, diesen Fall zu entscheiden. Ein Anflug von Wahnvorstellung, der sich mit einem energischem Flügelschlagen beiseite wischen ließ.
    Das Plädoyer einer Zeugin
    A m Tag nach seiner nächtlichen Verhaftung war Smutek gegen Mittag nach Hause gekommen, erschöpft, benommen, aber zu seiner eigenen Verwunderung wenig verändert. Er war weder ein neuer Mensch noch ein gebrochener Mann, er erkannte sein Auto, seine Wohnung und schließlich sich selbst im Garderobenspiegel und fand sich insgesamt gut zurecht in einer Welt, die gnadenlos dieselbe geblieben war. Smutek saß fest im Sattel und verspürte kein Bedürfnis, mit gesträubten Nackenhaaren zum Telefon zu greifen, sich selbst anzurufen und nachdenklich dem Belegtzeichen zu lauschen oder einen ähnlichen Unsinn aus dem Bereich des Ein-Mann-Krisenmanagements zu veranstalten.
    Im Einklang mit dem, was er seine Persönlichkeit nannte, hatte er die Wohnung betreten und sich vergewissert, dass Kleiderschrank und Badezimmer teilweise ausgeräumt und einige Bücher aus den Regalen verschwunden waren. Überall entdeckte er Spuren der Hast. Kleidungsstücke und Gegenstände lagen am Boden, aufgenommen und wieder hingeworfen, das muss mit, nein doch nicht, die Auswahl war schwierig. Bei der Vorstellung, wie sein Schneewittchen, panisch wie ein Tier, an dessen Käfig es von außen furchtbar rüttelte, durch die Zimmer gerannt war, empfing er einen heftigen Stoß in die Magengrube. Das Brennen von Schuldgefühl, Reue und Mitleid schmiedete seine Liebe zu einer Waffe, die ihre Spitze in sein Herzfleisch setzte, um ihn fortan bei jeder Bewegung zu stechen. Damit würde er leben müssen wie der Fisch mit dem Angelhaken im Gaumen, nachdem er noch einmal davongekommen ist. Spätestens in ein paar Wochen würden sie sich wiedersehen, in einem Café, große, schaumige Milchkaffeeschalen als Pufferzone zwischen sich, über Notwendiges sprechend, nach Gründen forschend. Frau Smutek würde sich verändern, würde ihr Haar abschneiden, seitlich scheiteln und glatt an den Kopf kämmen, vielleicht ihren Job aufgeben und zu malen beginnen. Sie würde einen neuen Mann finden. Sie würde nie wieder lügen. Sie würde ein Kind bekommen.
    Auf dem Küchentisch hatte die aufgeschlagene Zeitung gelegen. Smutek hatte es über das Vermischte hinausgebracht und sein Photo auf der ersten Seite des Lokalteils gefunden. Es war das Bild, das einst seiner Bewerbung auf Ernst-Bloch beigelegen hatte. Aus dieser Zeitung erfuhr er, dass Alev am Leben war.
    Nach einigem Suchen entdeckte er sein Handy im Inneren des Holzschuhs, der primellos auf der Fensterbank stand. Das Display verkündete den Empfang einer Kurznachricht, die spät in der Nacht bei ihm eingetroffen war.
    Halte durch. Überlass alles mir. Ich hau dich da raus.
    Er löschte die Botschaft und lächelte über den großartigen Klang dieser Worte. Während der anschließenden mehrwöchigen Quarantäne in der eigenen Wohnung hatte er mehr als genug
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