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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman
Autoren: Juli Zeh
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Bewegung des Oberkörpers zur Seite stieß.
    »Vor Gericht und auf hoher See«, sprach die kalte Sophie zum Anwalt, »sind wir in Gottes Hand. Stören Sie den Gang der Verhandlung nicht, wenn Sie eine Ordnungsrüge vermeiden wollen.«
    »Verbindlichsten Dank«, sagte Alev. »Euer Ehren, kennen Sie das Gefangenendilemma?«
    »Die Fragen«, erwiderte die kalte Sophie, »stelle ich. Und sagen Sie nicht >Euer Ehren< zu mir.«
    »Ich würde Ihnen gern etwas über das Gefangenendilemma erzählen.«
    »Dient es der Sache?«
    »Die Vorgänge, in deren Gedenken wir heute hier sitzen, sollten zur Verifizierung einer spieltheoretischen These beitragen.«
    »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie sich die Auflösung des Dilemmas ein wenig anders vorgestellt hatten?«
    Alev lachte leise und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
    »Sie sind eine kluge Frau«, sagte er.
    »Ersparen Sie mir solche Vertraulichkeiten!« Die kalte Sophie konnte wie ein Gewitter donnern, ohne dass zuvor ein einziger Regentropfen niedergegangen wäre.
    »In der Tatsache, dass ausgerechnet Herr Smutek und ich«, Alev wies ohne Blick auf den zweiten Angeklagten, »heute gemeinsam vor einer Richterin sitzen, liegt perfide Ironie. Das wollte ich Ihnen sagen.«
    »Sind Sie fertig?«
    »Nach den Regeln der Spieltheorie würden wir uns gegenseitig ans Messer liefern, wenn wir glaubten, dass wir zum ersten und letzten Mal bei Ihnen sind. Halten wir unsere Zusammenkunft für den Beginn einer iterativen Kette, kooperieren wir. In diesem Sinn müssen Sie unsere Aussageverweigerung verstehen: Wir sind noch nicht sicher.«
    »Sind Sie jetzt fertig?«
    »Ja.«
    »Schön. Dann hören Sie zu. Erstens: Wenn ich mit Ihnen fertig bin, werden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach zum ersten und letzten Mal hier gesessen haben. Das zeigt die Empirie. Zweitens: Seien Sie sicher, dass ich keine Deals vorschlage, bei denen Sie mit Maximin-Strategien zu einer optimalen Lösung gelangen können. Dominantes Strategiengleichgewicht gibt es in der Theorie. Aber, Herr El Qamar, wenn ich vorstellen darf: Das hier ist die Realität.«
    Sie war schon wieder laut geworden, der Staatsanwalt verdrehte entzückt die Augen.
    »Touché«, rief Alev, die rechte Hand auf dem Herzen, »von nun an gehöre ich Ihnen. Zwar bin ich anderer Meinung, was das alte Techtelmechtel von Theorie und Praxis betrifft. Aber regina regit colorem.«
    »Dann erweisen Sie mir einen Ritterdienst und seien Sie still, wenn Sie nicht weiter zur Sache aussagen wollen.«
    Alev lüftete den imaginären Hut eines Musketiers. Das Zucken rings um den Mund der Richterin sowie das sanfte Aufsteigen ihrer Brauen entging keinem der Anwesenden im Sitzungssaal. Als die Zeugen gerufen werden sollten, hob Smutek die Hand.
    »Frau Richterin, ich möchte eine Teilaussage machen.«
    Der Staatsanwalt grinste breit. So war es immer bei der kalten Sophie. Früher oder später sangen sie alle.
    »Ein Teil«, sagte sie, »ist besser als nichts. Ich vermute, Sie wollen sich auf den Tatvorwurf der schweren Körperverletzung beziehen? Ausgezeichnet. Andernfalls hätten wir Ihr Verfahren abtrennen und Herrn El Qamar als Zeugen vernehmen müssen. Doppelte Arbeit für alle Beteiligten. Schießen Sie los.«
    Smutek legte ein schnelles, detailfreudiges Geständnis ab. Rechneten Sie damit, dass das Opfer stürzen und mit dem Kopf auf die Treppe schlagen könnte? Nein. Haben Sie irgendein Werkzeug verwendet, ein Hilfsmittel, um auf das Opfer einzuschlagen? Einen Stock? Einen Stein. Einen - Schlagring? Nichts dergleichen. Welche Art von Schuhen hatten Sie an? Turnschuhe. Näherten Sie sich dem Opfer von hinten? Nein. Der Staatsanwalt machte Notizen und sah seine gefährliche Körperverletzung den Bach hinunterschwimmen. Er bat um das Wort, aber die kalte Sophie war noch nicht fertig »Warum haben Sie es getan?«
    Auf die Idee, sich diese Frage zu stellen, war Smutek auch schon gekommen, und er hatte acht Wochen Zeit gehabt für gründliche Ursachenforschung. Aber die Antwort war schwierig. Er wusste es nicht. Der Vertreter der Anklage erhob sich selbstbewusst von seinem Stuhl.
    »Sie wurden von Hass getrieben. Vom verständlichen Bedürfnis nach Rache. Von der Verzweiflung im Gefolge einer wahrhaft unerträglichen Situation.« »So war es nicht.«
    »Sie wurden vom gerechten Zorn auf einen Menschen übermannt, der es geschafft hatte, gleich zwei junge Mädchen in eine abscheuliche Lage zu bringen?«
    »Ich bitte Sie«, sagte die kalte Sophie. »Wir
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