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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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tell you what I've done for you.
    Schon die ersten Takes hatten Bewegung in die Leute gebracht. Der weitläufige Raum bestand an diesem Abend aus geballter, feuchter Dunkelheit, zuckendem Licht und dröhnenden Bässen. Man lief auf die Tanzfläche, die Kräftigen schufen sich Platz in der Mitte, die Schwächeren wippten am Rand. Ada war ins Zentrum des Schwankens gestürzt wie ein Himmelskörper ins schwarze Loch, ein Wurm unter Giganten, noch keine vierzehn Jahre alt und schon seit zwei Stunden illegal vor Ort. Das Gesicht des Staatsanwalts tauchte gestochen scharf aus Gewölk und Verwischung auf, stand starr in den Wogen und wollte nicht aus dem Weg. Was machst du noch hier?
    Der Junge ging in eine höhere Klasse, und Ada, die seinen Namen nicht kannte, hatte ihn >Staatsanwalt< getauft, weil er sie fast täglich auf dem Schulhof abpasste, um ihr eine Frage zu stellen. Ada, was ist der Sinn des Lebens? Was ist am elften September passiert? Ada, gibt es einen Gott? Was er von ihr wollte, wusste sie nicht, sie gab knappe Antworten. Der Sinn des Lebens ist, was übrig bleibt, wenn man alles Sinnlose weglässt. Am elften September hat David die Steinschleuder erfunden, aber warte ab, wie die Geschichte weitergeht. Es gibt keinen Gott, sondern ein Bedürfnis nach Gott, was dasselbe ist. Manchmal stand er für sie Schmiere, wenn sie heimlich hinter der Bushaltestelle rauchte. Er war kein Freund, er war ein seltsam freundlicher Feind.
    50thousand tears I cried.
    Die Musik war nicht laut genug, um seine Stimme zu übertönen. Eigentlich machte es keinen Unterschied, was genau er zu sagen hatte, nur dass es eine Menge war und dass es all die Dinge betraf, nach denen er sonst immer nur fragte. Gottlose. Leute wie du. Leute, die schuld sind. Terror. Schlimm war seine Stimme, die näher rückte, ans Ohr, ins Ohr, seine Finger, die sich in die Oberarme bohrten. Dich loslassen? Vielleicht holen wir erst mal einen Lehrer? Es ist fast Mitternacht, und du bist dreizehn, kleine Ada, dreizehn Jahre alt. Tanz mal mit mir, kleiner Wasserkopf.
    Don't want your hand this time, I'll save myself.
    Plötzlich hatte Ada keine Lust mehr, seinem verrückten Gefasel zuzuhören. Sie war zu klug für so etwas, zu klug, zu stark und zu allein. Wie von selbst ging ihr Arm in die Höhe, ge-wichtlos, als hätte er die Schwerkraft überwunden, flog neben ihr in die Luft, wurde hart, justierte seine Position, bis die Faust sich neben ihrem rechten Ohr befand, in das der Staatsanwalt vor einer Sekunde noch gesprochen hatte. Die wandernden bunten Lichter der Diskokugel über ihren Köpfen spiegelten sich im Metall des Schlagrings. Er war blank geputzt, weil Ada ihn ständig in der Hosentasche mit sich herumtrug. Vor Monaten hatte sie ihn für fünf Mark auf dem Flohmarkt erstanden. Der Verkäufer hatte eine Lederjacke und Glatze getragen und sie freundlich angelächelt: Gut so, Kleine, es gibt im Leben immer nur einen, der zuerst zuschlägt, und einen, der zu lange zögert. Ada interessierte sich nicht für seine Philosophie. Sie schob den Schlagring in die Tasche, er drückte gegen den Oberschenkel, man sah ihn durch die Hose, er war wie ein Haltegriff, an den man sich klammern konnte, wenn der Boden zu schwanken begann.
    Ada hielt den Arm ein Stück seitlich vom Körper weg und schlug auf diese Weise zu, eine halbe Körperdrehung vollführend, den Daumen außerhalb der Faust und an die Seite des Zeigefingers gepresst. So ging das. Sie hatte noch nie jemanden geschlagen. Leicht und weich landete die Hand von unten am Kiefer ihres Gegenübers, der um einiges größer war als sie. Ein kleiner Schubs, mehr nicht. Der Kopf des Staatsanwalts flog zur Seite wie bei einer schlecht gestopften Puppe. Obwohl Ada sicher war, seine Nase nicht berührt zu haben, schoss das Blut heraus und zeichnete eine rote Pyramide auf das helle Hemd. Der Staatsanwalt taumelte zurück und wäre fast gestürzt. Sein ganzes Verhalten stellte eine maßlose Übertreibung dar angesichts der Tatsache, dass ein kleines Mädchen, keine fünfzig Kilo schwer, ihm einen harmlosen Denkzettel verpasst hatte. Ada musste lachen. Memme, sagte sie zu ihm, auch wenn er in der lärmenden Musik bestenfalls sehen konnte, dass ihre Lippen sich bewegten, was für eine Memme. Als sie zum zweiten Mal ausholte, fing jemand ihre Hand in der Luft. Ada verspürte kein Bedürfnis, sich mit diesem Vorgang rational auseinander zu setzen. Sie trat blind hinter sich und erwischte mit dem Stiefelabsatz eine

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