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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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sie ihn beschimpfte.
    »Der Schulträger«, sagte sie, »entscheidet über jene Dinge, die eine Menge Geld kosten.«
    »So ist es«, antwortete Smutek und stemmte seinen Kopf wie eine junge Katze gegen ihre Hände.
    »Dann mach die Leichtathletikgruppe zu etwas, das eine Menge Geld kostet.«
    Sie nahm die Finger aus seinen Haaren, um der aufkeimenden Idee Platz zu machen.
    »Das ist es!«, rief er. »Ein neuer Sportplatz.«
    Er schlang einen Arm um ihre Taille und hob sie, indem er aufstand, mit sich in die Höhe, fasste unter ihre Kniekehlen und trug sie ins Nebenzimmer, wobei sie das Gesicht an seinem Hals versteckte.
    Am darauf folgenden Tag nach Schulschluss unternahm Smutek einen Marsch am Rhein. Die Luft war mild, das Jahr gönnte sich einen zweiten Frühling im späten September. Zwar rieben sich die Nächte bereits mit kälterauer Oberfläche an der Haut; tagsüber aber machte die Sonne alle Männer zu Helden und brachte die Mädchen zum Lachen, während ein warmer Wind mit einer Hand Haarmähnen toupierte und mit der anderen taumelige Passanten durcheinander schob. Die Kiesterrasse des Basteicafes war dicht besetzt, man trug die Schnäppchen aus dem Sommerschlussverkauf, die sonst erst im Folgejahr aus den Schränken geholt wurden. Mit ausgreifenden Schritten ging Smutek dicht am Geländer. Eine alte Frau warf ganze Brotlaibe ins Wasser, obwohl keine Möwen oder Enten in der Nähe waren. Das Brot wurde von der Strömung hinausgesogen und davongespült wie seltsame Flaschenpost.
    Bei Mehlem kehrte Smutek um, wettete gegen sich selbst, ob er mit den flussabwärts stampfenden Frachtern Schritt halten könne, verlor und gewann zu gleicher Zeit und ärgerte sich über das lästige Nullsummengefühl, das alle Wetten gegen sich selbst begleitet. Als er dem Fluss den Rücken kehrte und die schmalen Treppen zum Schulpark hinaufstieg, fühlte er sich wie ein Besucher, der das Gelände zum ersten Mal betrat. Unter Kastanien ging er den Schotterweg entlang und verlangsamte seine Schritte, um den Anblick des Sportplatzes noch einen Moment hinauszuzögern.
    Grau lag die Aschenbahn zwischen den Wiesenflächen. Wolken fuhren schwer beladen wie Frachtschiffe mit Tiefgang darüber hinweg. Die Anlage war mickrig. Um das festzustellen, genügte ein einziger Blick, die Wanderung nach Mehlem hätte er sich sparen können. Auf einer solchen Bahn war an ein ernsthaftes Training nicht zu denken. Der Umfang erreichte keine vierhundert Meter, so dass ein Läufer sich übermäßig oft in die Kurven legen musste und die Beschleunigungsmöglichkeiten der langen Seiten nicht nutzen konnte. Der Belag war jahrzehntealt. Parallel zur flussseitig gelegenen Zielgeraden verlief die Anlaufstrecke zur Weitsprunggrube, die nicht mehr war als ein ungepflegter Sandkasten mit hölzernem Absprungbrett. Im Inneren der Laufbahn befand sich ein abgetretenes Rasenstück, keine Hochsprunganlage, keine Speerwurfmöglichkeit, von Kugelstoßen ganz zu schweigen. Eine so lieblos gestaltete Sportanlage war einer angesehenen Privatschule nicht würdig.
    Smutek entschied, seinen Antrag zuerst auf eine neue Laufstrecke zu richten. Er wandte die Augen zum Himmel und schickte einen Gruß an seine Frau. Sie war genial. Er wunderte sich bloß, dass er nicht selbst darauf gekommen war. Noch mehr wunderte er sich darüber, dass sich auf der Aschenbahn etwas in ständiger Bewegung befand.
    Ein Häufchen aus Kleidern und Schuhen lag am Boden, als wäre jemand blitzschnell herausgestiegen, um sich an einem heißen Tag ins Wasser zu stürzen. Seit Smutek im Lehrerzimmer ein Gespräch mitverfolgt hatte, in dem es um den Zusammenhang von Begabung und Verweigerung ging, wusste er, dass jenes Mädchen, das gerade auf der Sportbahn seine Runden zog und sonst immer unbeteiligt auf dem Raucherhof stand, mit Vornamen Ada hieß. Er hätte sie gern gefragt, ob sie nach Nabokovs größtem Buch benannt worden sei.
    Während er ein Stück näher heranging, beschlich ihn ein unbehagliches Gefühl, das dem des Wettens gegen sich selbst nicht unähnlich war, jedoch eindeutig von Adas Anwesenheit auf dem Sportplatz herrührte. Seit Beginn des Schuljahres war er ihr einfach zu häufig begegnet, oder, besser ausgedrückt, seine Wahrnehmung setzte Ada zu deutlich in Szene, rahmte sie ein mit unbestimmter Bedeutung, erhob sie zu einem Leitmotiv, zu einer Markierung auf den brüchigen Stellen im System Wirklichkeit. Smutek ließ sich nicht genug Zeit, um in Erwägung zu ziehen, dass künftige

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