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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Bonner Innenstadt. Dahinter begann das Villenviertel. Trauerweiden beugten ihre sauber gestutzten Beatles-Frisuren über massives Mauerwerk, Jugendstilornamente drechselten an den Ecken der Fenster in die Höhe, dezent verschwanden geräumige Terrassen um Häuserecken im Garten, Tannen wippten, Birken raschelten, ein Eichelhäher meldete das Kommen von Fremden.
    Der Vorgarten vor Adas Haus trug einen gepflegten Dreitagebart, der Springbrunnen war außer Betrieb. Hinter dem Haus gab es Gras und Bäume auf geschwungenem Untergrund. Adas Fenster? Ganz oben, nach hinten raus. Im Erdgeschoss wohnte der Nachbar. Was für ein Nachbar? Ein Nachbar eben. So einer, der alles weiß und nichts versteht.
    Ada klingelte und schloss gleichzeitig die Haustür auf. Man hörte es von oben herunterschrillen, eine Sekunde lang erstarrte das ganze Haus unter dem gellenden Geräusch. Oben beugte sich die Mutter übers schwarzhölzerne Treppengeländer, die Hände um zwei Schnörkel gelegt, die blank waren vom häufigen Warten. Auf den Stufen lag Teppich. Hinter der Mutter fiel künstliches Licht aus der Wohnungstür, trotz des goldenen Herbstnachmittags vor den Fenstern.
    Hey, Kids.
    Ada schaute sie verwundert an. Sie hatte noch nie >Hey< gesagt und schon gar nicht >Kids<. Olaf gab Pfötchen und neigte höflich den Kopf. Nur im ersten Augenblick hatte er Schwierigkeiten, Adas Mutter ins Gesicht zu sehen, gleich darauf hatte er sich an die Schichten verschiedener Altersstufen gewöhnt, die dort übereinander lagen und nur im Schnitt die Zahl Fünfundvierzig ergaben. Die schwarz gefärbte Frisur mit glattem Pony und kinnlangem Helm zitierte eine zeitlose Kleopatra, die Augenbrauen waren ausrasiert, die Lippen korrigiert, die Ohrringe zu groß, die Haut gleichzeitig perfekt gepflegt und welk. Unter dem langärmligen roten T-Shirt mit frechem Aufdruck über der Brust zeigte sich ein ausgehungerter Körper, mit dem es die Natur einst besser gemeint hatte. Am Ende der dünnen Arme entdeckte Olaf Adas Hände und erschrak wie vor einer unappetitlichen Photomontage.
    Hinter der Tür zog Ada die Schuhe aus, nahm Olaf die Jacke ab und bewegte sich vorsichtig wie ein Gast, der nicht sicher weiß, ob er willkommen ist. Wohn- und Esszimmer waren durch eine Flügeltür verbunden und ergaben gemeinsam fast einen Saal. Zu dritt setzten sie sich an einen Tisch, der verloren wirkte auf dem endlos spiegelnden Parkett. Ohne Einleitung begann die Mutter zu reden, ganz als führte sie ein Gespräch fort, das beim letzten gemeinsamen Treffen unterbrochen worden war. Jetzt gebe es bald doch noch Krieg im Irak. Den Bush möge sie gar nicht, und den Schröder ebenso wenig. Alles Machtmenschen, nicht? Nicht gerade warm draußen, aber schön.
    Bei keinem Thema konnte sie länger als zwei Minuten verweilen. Wenn sie Olaf nach seinen Eltern und seinen Lieblingsfächern fragte, war ihr die Anstrengung beim Abwarten der Antwort anzumerken. Sie lobte seine Heavy-Metal-Kutte. Ein eigener Stil sei das Wichtigste. Auch Ada habe mal einen gehabt, aber das sei lange her. Es folgten noch einige Geschichten aus Adas Kindheit sowie Anekdoten von der Küste, erzählt im Platt eines echten Wattmädchens, denn die Mutter war, wie sie gern betonte, ein Fischkopf und hier auf dem Festland, an das die Männer sie gezogen hatten, stets ein wenig atemlos.
    Als Ada sah, dass Olaf gleichmütig lächelte, einsilbige Antworten gab, die völlig ausreichten, um das Gespräch in Gang zu halten, und keinerlei Anzeichen von Überdruss oder peinlicher Bedrängnis zeigte, entspannte sie sich ein wenig. Olaf begegnete Menschen mit der immer gleichen, neutralen Grundeinstellung, die es ihm ermöglichte, in fast allen Lagen Ruhe zu bewahren. Am meisten genoss er dabei, dass ihn der überwiegende Teil der Menschheit nichts anging und dass die Menge der Menschen, für die er sich interessierte, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gegen null tendierte. Solange das gewährleistet war, ertrug er auch überspannte Einzelexemplare.
    Dann wollte Ada ihm ihr Zimmer zeigen. Sofort standen alle drei auf, und Olaf rechnete damit, dass sie sich feierlich die Hände schütteln würden. Die Mutter ging in die Küche, nahm eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank und überreichte sie mit bedeutungsvoller Miene, als handelte es sich um Kronjuwelen. Nehmt ruhig, zur Feier des Tages. Sie waren schon auf der Wendeltreppe, als sie ihnen nachrief. Ob Olaf zum Fernsehen bleiben wolle? Da Ada ihren Besuch niemals ankündige,

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