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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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habe sie gar nicht darauf geachtet, was heute gesendet werde. Adas Freundin zum Beispiel, die habe nichts angeschaut außer Zeichentrickfilmen und schon bei den Nachrichten manchmal zu weinen begonnen. Ob es bei Olaf so ähnlich sei?
    Keine Umstände, sagte Olaf, er werde zu Hause erwartet.
    Ruf deine Eltern an, sagte Adas Mutter, wenn sie nicht erlauben, dass du zum Fernsehen bleibst, werde ich mit ihnen sprechen.
    Am oberen Ende der Treppe verdrehte Ada die Augen zum Himmel, dass in den Schlitzen nur noch Weißes zu sehen war.
    Ob Olaf vielleicht noch einmal herunterkommen wolle, mit Blick auf das Fernsehprogramm könne man doch gemeinsam ...
    Ada winkte ihn mit herrischer Handbewegung an sich vorbei und deutete den Flur entlang auf die letzte Tür.
    Mutter, sagte sie langsam und streng, es reicht jetzt. Olaf wird erwartet. Er bedankt sich.
    Schon gut, ist ja schon gut.
    Unten ging die Rede hörbar weiter, während Ada die Zimmertür schloss und sich mit beiden Händen die Wangen rieb. In spätestens zehn Minuten wird sie hier drin stehen, weißt du. So ist es immer und jetzt besonders, denn du bist eine Sensation. Wenn ich mich mit Büchern und Zigaretten auf dem Klo einschließe, steht sie manchmal vor der Tür und redet mit mir. Ich kann gut lesen, während jemand spricht. Ich schlage ein Buch auf, und alles, was ich höre, wird zu einem unverständlichen, geschlechtslosen Geräusch. Wind, der Zweige gegen die Scheibe peitscht. Vielleicht ein Presslufthammer direkt vor dem Haus. So geht es. Aber schön ist das nicht.
    Olaf hatte sie selten so lang am Stück reden hören, er freute sich und fühlte gleichzeitig seine Kräfte schwinden. Um ihn herum versuchten große, mit indischen Mustern bedruckte Tücher das Kinderzimmermobiliar zu verstecken. Keine Bilder an den Wänden, stattdessen Tücher. Schrank und Regal mit Stoffen verhängt. Der Teppichboden war mit einem Tuch bedeckt, das unter den Füßen verrutschte und sicher viele Male am Tag geradegezogen werden musste. Über dem Schreibtisch lag ein Tuch, ein ähnliches über dem Bett, ein weiteres ersetzte die Vorhänge. Es gab keine Sitzgelegenheiten. Olaf ließ sich auf dem Boden nieder. Ada zog einen Aschenbecher unter dem Regal hervor und öffnete das Fenster. Die kleine Stereoanlage stand auf einer leeren Obstkiste, darunter lagen ein paar selbst bespielte Kassetten und drei CDS.
    Die Schritte auf der Wendeltreppe waren deutlich zu hören, scharf knallten die Absätze aufs Holz. Die Mutter trat ohne Anklopfen ein, sprach nur mit Olaf und würdigte Ada, die mit dem kleinen Finger sinnlose Linien in den Aschenbecher zeichnete, keines Blickes. Man sah, dass sie geheult hatte, unter den Augen lagen schwarze Flecken verwischter Schminke. Sie zählte Gerichte auf, die sich mit dem vorgefundenen Kühlschrankinhalt zubereiten ließen, erwog Vor- und Nachteile, wischte Olafs zaghafte Zustimmung mit immer neuen Gesten beiseite und fing von vorne an. Olaf ertrug den Vortrag ohne die geringste Verunsicherung, wartete, bis Adas Mutter sich mit sich selbst auf eine Variante geeinigt hatte, und hob grüßend die Hand, als sie zufrieden das Zimmer verließ.
    »Du kannst das gut.« Ada schaute ihn an, und es kam ihm vor, als hätten ihre Augen die seinen noch nie zuvor so direkt getroffen. »Jetzt wird sie sich unten in der Küche an die Arbeit machen, dabei leise singen und eine halbe Stunde lang glücklich sein. Weil sie für den Freund der Tochter ein leckeres Mahl zubereitet, das alle gemeinsam einnehmen werden. Danach zusammen fernsehen. Eine verkrüppelte, aber moderne und letztlich ganz normale Familie. Das ist allein dir zu verdanken.«
    »Manchmal«, sagte Olaf und senkte den Blick, um von Adas grauen Augen freizukommen, »ist dein Zynismus schwer zu ertragen.« Weil er zu Boden schaute, konnte er nicht sehen, dass sie erschrak.
    »Nein, nein«, sagte sie und fasste nach seiner Hand, mit der er sich auf den Boden stützte. Ihre Finger waren eiskalt, Durchblutungsstörungen.
    »Ich habe es ernst gemeint«, sagte sie, »Danke.«
    Auf einmal hielt er sie in den Armen und wiegte sie wie ein kleines Kind. Sie sank gegen ihn und lag wie tot, die Augen offen und in die Ferne gerichtet.
    »Ist schon gut, ist gut«, flüsterte er, als ob er sie trösten müsste, dabei sah sie nicht aus wie jemand, der in der Lage ist, Trost zu empfangen.
    Weihnachten Eins
    S o verging der Jahresrest. Smutek und seine Frau feierten Weihnachten zu zweit vor einem kleinen Tannenbaum,

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