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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Krüppel. Und ein Pole. Als Smutek sich langsam, beide Hände auf die Tischkante gestützt, in die Höhe schraubte, bewies er den alten Grundsatz, dass am Schluss nicht Argumente siegen, sondern körperliche Präsenz. Sekundenlang stand er schweigend zwischen den anderen, überragte jeden von ihnen um Haupteslänge, sagte kein Wort und verzog keine Miene. Die Raumtemperatur schien um mehrere Grade zu sinken. Teuter ordnete sein tadellos sitzendes Jackett. Höfi hatte den Blick noch immer nicht von der Tischplatte gewandt. Klinger sah aus, als bräche er demnächst in Tränen aus. Die Konferenz war beendet.
    Niemand wusste, auf welche Art solche Ereignisse die Runde machten, aber am nächsten Vormittag war jeder Schüler auf Ernst-Bloch darüber informiert, dass im Geschichtsleistungskurs Diskussionen geführt wurden, die gewalttätige Auseinandersetzungen im Lehrerzimmer verursachten. Als Alev am Morgen an der wartenden Ada vorbeiflanierte, blieb er kurz stehen.
    »Schon von Höfi und Teuter gehört?«
    »Sicher. Panem et circenses.«
    »Mit deinen Worten würde ich sagen: Höfi ist strukturell im Recht. Nicht wahr?«
    Sie hatten sich angelächelt, und jetzt stand Ada in Grüttels Zimmer.
    Alev ist impotent und stolz darauf
    D u solltest etwas über die Jungs erfahren.« Vielleicht war ein Knurren zu hören, vielleicht war das Einbildung, ein von der Wahrnehmung hinzugedichtetes Symptom, das zur längst erstellten Diagnose passte: Adas und Alevs Anwesenheit begann Stress im Zimmer zu verbreiten. Sie standen zwischen den liegenden und hockenden Internatsbewohnern wie Wärter auf Besuch im Raubtierkäfig, zu stark, um angegriffen zu werden, nicht stark genug, um Furcht einzuflößen, außerhalb der Fütterungszeiten erschienen, so dass nicht klar war, was sie planten. Grüttel und seine Freunde rutschten unruhig hin und her, einer streckte die Beine, der andere winkelte sie an, während der nächste sich auf die Seite sinken ließ, den Ellenbogen als tragenden Pfeiler unter den Körper gestemmt.
    »Was soll sie groß über uns erfahren?«
    »Der hier mit den hellen Haaren ist Grüttel.«
    Der Genannte hob zwei Finger zum Victory-Zeichen über den Kopf.
    »Ein Siegertyp. Er gewinnt mit Abstand jedes Wettwichsen, und das schon seit Wochen.«
    »Zielgenauigkeit, Entfernung oder Geschwindigkeit?«
    »Geschwindigkeit. Du legst ihm ein beliebiges Pin-up vor, eine Titelmutti vom Playboy oder das Sonntagsgirl in der BamS, und er spritzt ab, bevor die anderen die Hosen offen haben.«
    »Seid ihr nicht ein bisschen zu alt fürs Wettwichsen?«
    »Ach was. Diese Sportart betreibt ein Mann sein Leben lang.«
    »Und wie hast du abgeschnitten?«
    »Ich kriege keinen hoch. Leider impotent.«
    An dieser Stelle gab Grüttel, der, während über ihn gesprochen wurde, zusehends das Aussehen eines großformatigen Gemäldes angenommen hatte, ein zischendes Lachen von sich, wobei sein Oberkörper sich auf dem Ellenbogen ein paar Zentimeter hob und gleich wieder in die Ursprungslage zurücksackte.
    »Sonstige Qualitäten?«
    »Nicht dass ich wüsste. Ach, Ada!« Alev sprach im Tonfall einer märchenerzählenden Mutter, die nicht erwartet, dass ihr Kind vor dem Einschlafen weit über das Es-war-einmal hinauskommen wird. »Grüttel hat reiche Eltern. Er verbringt derzeit, tragischerweise ohne es zu wissen, die besten Monate seines Lebens. Danach kann es nur noch langweiliger werden, als es ohnehin schon ist.«
    Unter dem Vorwand, sich eine weitere Zigarette anzuzünden, hatte Grüttel sich erneut aufgerichtet.
    »Es reicht, Alev«, sagte er. Die drei anderen starrten apathisch vor sich hin.
    »Waaas?« Beim breiten >A< klaffte Alevs Mund wie zum Beißen auseinander. Er wandte sich von Ada ab und richtete die geschlitzten Augen auf Grüttel. »Es gibt also tatsächlich Dinge, die dir reichen?«
    Ada sah Alev von der Seite an, betrachtete seinen langen Nasenrücken, der flach und in fast senkrechter Linie nach unten wies, die breiten Nasenflügel, deren Form an die Hinterschenkel einer sitzenden Katze erinnerte, die schwarzen Augenbrauen, weit in die Schläfen gezogen, als wären sie mit Bügeln hinter den Ohren aufgehängt. Mit dieser Physiognomie gelang es ihm, trotz geringer Körpergröße auf jedes Gegenüber herabzuschauen. Sie erkannte, dass er ein Profi war, nur wusste sie nicht, in welcher Disziplin. Offensichtlich wohnte sie soeben einer Präsentation seiner Fähigkeiten bei, die eigens für sie begonnen worden war.
    Grüttel wusste

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