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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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nichts zu antworten, und Bastian schaute zur Seite, als säße er im Wartezimmer eines Zahnarztes und hoffte, als Letzter dranzukommen.
    »Bastian ist die dunkelhaarige Ausführung desselben Modells, abgesehen davon, dass er beim Wettwichsen verliert. Angeblich ein guter Surfer. Er hat einen schönen Stapel Photos von seinem letzten Aufenthalt am Pazifik. Nicht wahr, Bastian?«
    »Fick dich, Alev.«
    »Womit denn, frage ich dich, womit? Etwa mit dem schlappen Stück Fleisch, das ich meinen Schwanz nenne und das durch nichts in der Welt zum Aufstand bewegt wird? Ich werd mich nicht ficken, Bastian, sicher nicht.«
    Diesmal knurrte Bastian deutlich hörbar, nahm Grüttel ungeduldig die Zigarettenschachtel weg und zog eine weitere mit den Zähnen aus der Packung. Tröpfchenweise wie Kondenswasser schlug sich an den Scheiben von Adas Verstand eine Idee davon nieder, worin Alevs Methode bestand. Wenn sie schon nicht begriff, was er da tat, so doch wenigstens, wie. Alev drang als Fremdkörper in geschlossene Systeme ein, ohne ihre Bedingungen zu akzeptieren, zerrte ihre Rituale ans Tageslicht und gab sie der Lächerlichkeit preis, während er selbst durch das Eingeständnis seiner Schwäche unangreifbar blieb. Forsches Auftreten und Eloquenz verhinderten, dass er sofort wieder hinausgeworfen wurde. Auf diese Weise konnte er sich in zwischenmenschlichen Zusammenhängen bewegen, ohne ihr Bestandteil zu werden. Im Verhältnis zu ihm verwandelten sich die von der üblichen hierarchischen Routine geprägten Strukturen in einen leblosen Raum und ihre Angehörigen in Möbelstücke, während Alev Mensch blieb und damit ihr Benutzer, und niemand war in der Lage, sich gegen ihn aufzulehnen, so wenig wie ein Sessel denjenigen vertreiben kann, der tagein, tagaus auf ihm sitzt. Mitten in Grüttels L-förmigem Reich sprach Alev breitbeinig mit der Führungselite der Schule, mit jenem harten Kern von Leuten, dem man sich gewöhnlich nicht aus eigenem Willen näherte, sondern wartete, bis man gerufen wurde. Alev hatte zu viele Sprachen gelernt und an zu vielen Orten gelebt, um in Kontexten zu denken. Auch er war wie Ada ein Außenseiter, beschäftigte sich aber wie ein Forscher mit einzelnen Artgenossen, während sie stets bemüht war, dem Ganzen fernzubleiben.
    »Vielleicht hast du Lust, uns deine Photos zu zeigen?«
    Unter Alevs Moderatorenfinger wurde Bastian zum nächsten Stillleben, das die Rezension durch einen Kunstexperten zu ertragen hat.
    »Schöne Photos«, sagte Alev. »Man sieht Bastian an der kalifornischen Küste, das Surfbrett unter dem Arm. Manchmal steht ein Traummädel im String-Tanga neben ihm, mit Pobacken und Brüsten, die wie polierte Früchte glänzen.«
    Draußen ventilierte der lange Flur Erichs Stimme in alle Zimmer. Ende des Frühstücks, Männer und Mäuse. Schleppt euch und eure Sachen die Treppen runter.
    »Hier oben hört man die Schulklingel nicht so gut«, erklärte Toni, offensichtlich erleichtert, das Thema zu wechseln. »Als das Internat eingerichtet wurde, haben sie vergessen, eine anzubringen. Das ist wie mit ausgebrannten Glühbirnen, die man nicht gleich wechselt: Es bleibt für immer dunkel.«
    »Das hast du schön philosophisch beschrieben, Toni. Eines Tages wirst du kapieren, dass du mehr von der Welt weißt als so ein Strahlemann, der Stunden vor dem Rechner verbringt, um eine schöne Frau in seine Arme hineinzukopieren. Photoshop macht's möglich, was, Bastian?«
    Der Angesprochene hatte die Beine unter den Leib gezogen, erhob sich zu voller Größe und wischte die Hände an den Hosenbeinen ab wie ein Kind, das dreckig vom Spielen nach Hause kommt.
    »Keine Ahnung«, meinte er gleichmütig, »sag selbst. Was glaubst du?«
    »Natürlich sieht man die Ränder.« Alev war schon an der Tür. »Niemals wäre jemand wirklich darauf reingefallen. Wir sind, und das darf keinesfalls vergessen werden, wir sind alle Amateure. Hörst du, Ada, Kleinchen? Alles Amateure. Auch du und ich. Vielleicht etwas weniger als der Rest.«
    Er fasste sie am Ellenbogen und geleitete sie aus dem Zimmer, galant wie ein Kavalier aus dem vorletzten Jahrhundert. Sie war froh, dass er sie führte. Allein wäre sie in die falsche Richtung losgegangen, zwischen Gummibäumen und Rollwagen von der Fensterscheibe gestoppt worden und wie ein großer Nachtfalter gegen das Glas gestoßen. Sie genoss das Treppensteigen neben ihm, verfolgt von Grüttels, Bastians und Tonis schwerfälligen Schritten, die irgendwann auf anderen Etagen

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