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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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zu beobachten. Als Adas und Alevs Blicke sich trafen, schaute dieser zum ersten Mal weg. Sie hatte ihm die Show gestohlen; er wusste, dass sie das wusste, und brauchte ein paar Minuten, um seine Souveränität wiederzufinden. Höfi ging dazu über, ein kleines Tatsachenfundament anzulegen, und war beim Vietnamkrieg angelangt, als es zur kleinen Pause klingelte. Auf dem Gang fing er Ada ab, die Alev zu den Toiletten folgen wollte.
    »Woher hast du das?«
    Höfi hatte nicht aufgehört, die Schüler zu duzen, obwohl Alev auch in seiner Einführungsveranstaltung inszeniert hatte, was inzwischen den Titel >El-Qamar-Theater< trug. Höfis Antwort war typisch gewesen: Es sei ihm wohl bekannt, was in den Schulregeln stehe. Alev habe ein Recht darauf, gesiezt zu werden, und dieses Recht werde er, Höfi, konsequent ignorieren. Falls Alev Krach schlagen wolle, sei ihm das freigestellt. Falls er sich für guten Unterricht ohne Fisimatenten entscheiden wolle, so werde er einen solchen erhalten. - Damit war Höfi der erste Lehrer, der Alev mit einem klaren Sieg nach Punkten zum Schweigen gebracht hatte.
    »Nicht zuletzt von Ihnen«, sagte Ada. »Ansonsten zusammengeklaubt im eigenen Kopf.«
    »Glaube ich nicht.«
    Sie zuckte die Achseln. Ihr Blick warf ihm eine warme Hand voll Verachtung zwischen die Augen; dann ließ sie ihn stehen.
    Die Konferenz folgte vierundzwanzig Stunden später auf die Telefonanrufe einiger Mütter und Väter, deren Kinder auf Ernst-Bloch gelernt hatten, dass Al Qaida das Gleiche wie Greenpeace sei. Die Grenzen zwischen den Lagern im Lehrerzimmer waren klar gezogen, die Wortführer dieselben wie immer: Der junge Geschichtslehrer Klinger, bekennender Homosexueller, sprang Höfi bei und wurde von Smutek verhalten unterstützt, während Teuter sich vor allem auf Lindenhauer verlassen konnte, der seine Karriere als Kernphysiker vor dreißig Jahren nach einem Autounfall hatte beenden müssen und inzwischen als einer der ältesten Lehrer auf Ernst-Bloch unterrichtete. Das Neuartige an der Situation bestand in dem Gefühl, dass diesmal mehr als altbewährte Feindschaften das Feuer schürte. Hinter dem Streit stand ein fremder Geist. Ada schwebte im Raum.
    Ja nee, Herr Höfling, Sie unterrichten Geschichte und nicht Politik, und auch der letztgenannte Fachbereich dient keineswegs dem Vergnügen von Lehrern, die ihre Schüler für die Entwicklung präpotenter Ideen missbrauchen.
    Und Ihr Fachbereich, Herr Teuter, heißt Schulleitung und nicht Lehrplangestaltung, und auch das letztgenannte Gebiet dient nicht dem Ausleben halbvergorener Napoleonkomplexe. Lassen Sie sich vom Ministerium erklären, dass politische Bildung ein Querschnittsinhalt ist.
    Ja nee, Herr Höfling, was Sie betreiben, hat bestenfalls mit Querschnittslähmung zu tun.
    An dieser Stelle wurden die ersten Zwischenrufe laut. Höfi, der klein und verwachsen in seinem Armstuhl kauerte, rührte sich nicht von der Stelle und sah stur vor sich hin wie ein ausländischer Angeklagter, dem man vor Gericht keinen Dolmetscher beigeordnet hat. Nur seine Augen röteten sich, und als Smutek das sah, stand er auf, trug seinen Stuhl um den Tisch herum und setzte sich neben ihn.
    Um die Lage zu retten, sprach Teuter hartnäckig weiter. Ja nee, diese Ada sei ein schwieriges Mädchen. Man befinde sich in einer hochkomplexen weltpolitischen Lage. Man dürfe nicht zulassen, dass der neue Geist die Schützlinge vergifte. Ernst-Bloch sei ein geschützter Raum.
    Aber, Herr Teuter.
    Die Wangen des jungen Klinger waren fleckig vor Wut, längst saß er nicht mehr, sondern schritt aufgeregt vor der Fensterreihe auf und ab. Als er sich vor dem Direktor aufbaute, zitterte er wie ein Pappelblatt.
    Auch so ein Mädchen darf seine Meinung sagen!
    Meinung!, schrie Lindenhauer. Das ist linksextreme Propaganda!
    In der folgenden Stille dröhnte Höfis Stimme unnatürlich laut, sie schien ihm nicht aus dem Mund, sondern direkt aus dem verkrümmten Rückgrat zu kommen.
    Halten wir fest, rief er, dass niemand hier verstanden hat, worum es in Adas Redebeitrag ging. Es gibt auf alles eine Vogel- und eine Froschperspektive. Wer FROSCH bleiben will, dem sei das vergönnt!
    Als Teuter klein und nach Luft schnappend vor ihm stand und mit der rechten Hand an den Fingern der linken zog, um die Gelenke zum Knacken zu bringen, fügte Höfi flüsternd hinzu: Nur zu, Kollege, ich habe eins Komma fünf Sekunden Zeit, um in Notwehr zurückzuschlagen.
    Ein Schwuler, ein Frosch, ein Kernphysiker und ein

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