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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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ganzen unaufgelösten Bildsprache in einen Exkurs über romantische Traditionen einkleiden. Unser Haus, ohne Türen, ohne Fenster, entschlummert vor langer Zeit, ewig zu überdauern in winterlichem Traum, und so weiter.
    Er riss sich zusammen. Die Stunde lief gut. Ein Mechanismus hatte sich in Gang gesetzt, ein wenig träge noch, und würde Wochen brauchen, um die vorgesehene Geschwindigkeit zu erreichen. Eine große Maschine, die niemand aufhalten konnte, wenn sie erst einmal lief.
    Ada ist wirklich schnell
    E s war kühl. Schräg stehendes Licht verlieh allem und jedem trügerische Jugend, verwandelte den Fluss in ein Transportband für flüssiges Blei, zeichnete die Seelen der Menschen als lange, biegsame Schatten auf den Boden und frischte dem Rasen den Teint auf, dass er in geborgtem Frühlingsgrün das chemisch leuchtende Rot der Tartanbahn umlagerte. Ada kam eine halbe Stunde zu spät, um die lästigen Aufwärmübungen zu versäumen, und näherte sich langsam, den Riemen der Sporttasche quer über dem Leib wie einen Sicherheitsgurt. Smutek sah ihr über die Köpfe der Schüler hinweg entgegen und wandte sich genau in jener Sekunde wieder der Gruppe zu, da er hätte winken oder grüßen müssen. Eine Hand voll junger Prinzessinnen, die nie zuvor auf die Idee verfallen waren, ihre zierlichen Körper zu sportlicher Ertüchtigung zu zwingen, umringten ihn dicht an dicht, trugen knappe, babyfar-bene Höschen mit weißen Streifen an den Seiten und lauschten den Worten des Trainers mit weit geöffneten Augen und Ohren. Auf die Entfernung sah Smutek beinahe wie einer von ihnen aus. Die Stirnhaare hingen frech in die Augen, unter dem eng sitzenden T-Shirt waren die voll ausmodellierten Muskeln an Brust und Rücken deutlich zu sehen.
    Als Ada begriffen hatte, was die Prinzessinnen anlockte, bekam sie Lust, wieder zu gehen. Wie der umgehende Plumpsack auf einem Kindergeburtstag umrundete sie die Gruppe und schaute sich von allen Seiten an, wie der hübsche Herr Smutek mit angewinkelten Armen auf der Stelle hüpfte und dabei über Lehrerthemen sprach. Kräfteeinteilung auf Mittel streckendistanz. Statik, Dynamik, Gravitation. Laufen ist Fallen. Ada setzte die Sporttasche ab und zog ihre Jeans wie immer mitten auf der Wiese aus.
    »Ada«, sagte Smutek, »wollen Sie mitmachen?«
    Wie am selben Faden gezogen wandten alle Mitglieder der Gruppe sich um. Das >Sie< hallte nach, ein falsch angespielter Ton im Eröffnungsakkord.
    »Ich bin zum Laufen hier.«
    »Das trifft sich gut«, sagte Smutek freundlich. »Wir auch.«
    Während er seine Erklärungen fortsetzte, warf er heimliche Blicke auf Ada, die in ihre Sporthose stieg, danach unbeteiligt herumstand und mit zusammengekniffenen Augen den blauen Himmel prüfte. Er konnte es nicht erwarten, sie rennen zu sehen. Sie würde sich nicht an die vorgegebenen Distanzen halten. Sie würde nicht mit der Gruppe laufen, und wahrscheinlich konnte er sie bis ans Ende aller Tage zu keiner Dehnübung zwingen. Immerhin hatte sie den MP3-Player in der Tasche gelassen.
    Smutek bat um Verständnis dafür, dass er zur Einschätzung des Leistungsniveaus der Neuen zunächst ein paar Runden an ihrer Seite drehen wollte. Wie ein Zirkuspferd bei den ersten Klängen von Marschmusik rannte Ada ohne Aufforderung los, vom Rasen auf die Bahn, und war schon die lange Seite hinunter, bevor die Prinzessinnen auf bleiernen Füßen zur Startlinie getrottet waren. Sie plauderten mit den älteren Schülern und verzichteten darauf, die Füße in die Blöcke zu stellen. Smutek gab das Zeichen mit der Stoppuhr, wartete, bis die Gruppe sich eine halbe Runde entfernt hatte, und stellte die Uhr zurück auf null. Als Ada zum zweiten Mal die Ziellinie überquerte, setzte er den Zeitmesser erneut in Gang und rannte ihr nach.
    Ihr Tempo schien ihm langsamer als beim letzten Mal, vielleicht richtete sie sich auf eine längere Distanz ein. Neben ihr trabend, bat Smutek, die Geschwindigkeit zu erhöhen, mit dreitausend Metern zu rechnen und für die letzte Runde eine Sprintreserve zu bewahren, die sie auf sein Kommando freisetzen sollte. Ada wurde nicht schneller, sie wandte nicht einmal den Kopf. Smutek ließ sich zurückfallen, zog dann dicht an ihr vorbei und rannte vorneweg, ohne dass sie es zur Kenntnis genommen hätte. Gleichmäßig wie die Kolben einer Maschine flogen ihre schweren Beine durch die Luft, die Füße berührten nur für winzige Momente den Boden, als eilten sie ohne Schuhe und Strümpfe über glühend

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